Wieder ZUHAUSE, angekommen in RECKLINGHAUSEN, da wo ich vor vierJahre in Richtung Santiago de Compostela ins Wanderleben aufgebrochen bin.
Und jetzt, 9363 Kilometer weiter durch acht Länder, pausiere ich mal wieder dort wo ich all die Kraft finde für das Leben unterwegs, einerseits wegen der Visa für Russland, anderseits weil ich auch die Heimat brauche; Wanderleben – Heimatleben…. das eine braucht das andere….
„Glücklich in der Ferne ist nur, wer Heimat im Herzen trägt“ – ein Zitat von mir selbst, und nahezu Standart Antwort auf einer der häufigsten Fragen die mir gestellt werden.
Heimat: Eine Verortung von Vertrautheit, einerseits in mir selbst; – fühle mich in mir selbst Zuhause – könnte somit vielleicht für immer unterwegs bleiben.
Anderseits bin ich bei der Familie wilkommen, bei all den Freunden, meiner Taverne, dem Stammlokal im Stadtteil Recklinghausen-Süd.
Das alles ist Heimat, Vertrautheit, Erinnerungen, aber auch etwas Verantwortung; so braucht mich die Mama immer wieder mal in der Nähe, Neffe Ben (6 j.) vermisst seinen „Onkel Jens“ immer ganz gewaltig, und der beste Freund Georg in Trier braucht auch nicht mehr nach Russland reisen, stellt schonmal den Champus kalt wenn ich komme freu
Jetzt sind erstmal drei, vier Tage nichts und wieder nichts angesagt, einfach ankommen..
Dann gehts aber wieder los, muss rann und Geld verdienen, mich um’s Visum kümmern… hoffe ja Adnan aus Cheboksary (Tschuwaschien/Russland) hat irgendwas erreicht.
12 Monate mindestens brauche ich für die übrigen 8670 km von Kazan nach Wladiwostok, am besten 14 Monate. Währe dann länger von der Heimat fort als je zuvor…
Kazan…. oh je, war noch kurzem da, alles noch so frisch, so gegenwärtig.
Letzte Nacht im heimischen Gästebett des Elternhauses träumte ich von den weiten Horizonten der letzten Monate, wache auf und mich grüßt Haushund „Else“….
Der Flug war sehr schön, hatte tolle Sicht erst auf Moskau dann auf Düsseldorf… und nun auf Mamas Gardienen, in der Gemütlichkeit Zuhause.
Draußen regenet es.
In Kazan hätte ich noch im Hostel bis zum letzten Tag bleiben können, für lau, einfach so. Aber bei all den sandigen Wolgastränden bei 35 Grad Spätsommerhitze, streifte ich mit Wanderwagen den ganzen Tag umher, traf Leute und sprang immer wieder in den Fluss.
Urban-Camping ist in Kazan ganz leicht, überall gibts Buschland, Gestrüpp und genug Deckung zum zelten in kühler, aber milden Sternennacht.
Den Wanderwagen muss ich mitnehmen, weil viele Reperaturen angesagt sind, aber auch für die Vorträge übers Wanderleben, wo mein Haus auf Rädern zum anfassen vor Ort ganz interessant sein dürfte.
Und natürlich wieder Moskau: Die 16 Millionenstadt breitete sich fantastisch unter ca 5000 Meter im Landeanflug aus, welch Erinnerungen dort vor fünf Wochen durchgewandert zu sein, jetzt landete ich hier um weiter nach Düsseldorf zu jetten. Im riesigen Flughafen gabs schonmal keine einzige Zeitung in Englisch oder gar Deutsch… ein Bier für 5 € verkniff ich mir dann auch. Das allerletzte Geld reicht gerade noch für das erste Bier im Stammlokal, noch fern in Recklinghausen.
So, das war die erste Russland – Etappe. In drei-vier Monaten gehts wieder weiter und zwischendurch berichte ich hier weiterhin aus dem „Heimatleben“ in stetiger Vorbereitung auf’s Wanderleben. …. 8.670 km durch den Sibirischen Winter/Sommer, Unendlichkeit…. bis nach China …
… kann so schön sein: Welcher Ort währe besser gewählt? St.Petersburg hat momentan zu viele Touristen, und Moskau ist zu teuer. Nischni Novgorod dann zu provinziell, die Tundra zu langweilig…
Also Kazan, wo eine ganze Woche nicht langweilig wird. Samstag um 10, geht der Flieger und ja, ich freue mich natürlich auf die Familie, träume Nachts nur noch davon.
Aber nur noch zwei volle Tage?
Danach einfach nicht mehr auf Planet Russland?
Komische Vorstellung, nach nun mittlerweile fast drei Monaten Wanderzeit …
Wie schnell die jeweils andere (Lebens)form, oder Seite vermisst sein kann, zeigt sich besonders zwischen Stadt und Land; selbst hier innerhalb Kazans ziehe ich nun wieder umher, wandere vom einem Ende der Metropole zum anderen, fast wie ein Stadtstreicher sehe ich jetzt aus mit dem Wanderwagen, und zelte in den urbanen Waldgebieten, gut versteckt im Dickicht.
Im „Cat on the Roof Hostel“ hätte ich ja bleiben können die ganze Zeit, aber dort war es eben drei Tage schön und die restliche Zeit genieße ich meine Unabhängigkeit, streife durch Kazan und freue mich diese Zeit zu haben.
Hier kommt man nur hin, wenn genug Zeit ist, oder lässt sich in gewaltigen Touristenbombern (Busse mit 70 Leuten Fassungsvermögen) ankarren…. zum Palast der Kulturen der Welt, eine seit 14 Jahren permanent in Bau befindliche Synthese aus allen sakralen Baustielen von Christlichen Kirchen über Moscheen bis zu Hindutempel, dazu etwas Buddha.
Wieder zeigt sich Kazan multikulturell, wieder gelungen, wenn auch dieser Palast der Kulturen weit vom Schlag, 10 km außerhalb des Zentrums liegt, und leider nicht zugänglich ist, eher noch wie eine Baustelle wirkt; festgetretender Lehmboden drumherum, überall Bauzeug, etwas Schutt.
Doch es lohnt hierher zu kommen in diesem urbanen Wildwuchs-Viertel, wo die Datscha ähnlichen Familienhäuser teils wie Bruchbuden zusammengezimmert neben einer Leichtbau Villa lediglich von Wellblechzäunen voneinander getrennt, stehen.
Zelten im Stadtwald nahe dem Palast der Kulturen, und wo sind die Moskitos geblieben? Die sumpfige Wolga gleich in Sichtweite und kaum Mücken…. welch ein Geschenk 🙂
Der Palast ist eher ein Ensemble und besteht aus mehreren miteinander verschachtelten Gebäuden.
Abseits der Hauptstraße nach hinten, verläuft eine Eisenbahnstrecke am Palast vorbei der hier noch eine Art Portal im Ägyptischen Stil zeigt.
Aber auch das hintere Eingangsportal führt erstmal ins Leere. Irgendwie scheint der Palast nur von Außen zu bewundern möglich.
Auch die Seitenzugänge des Palastes laden nicht wirklich ein, wirken eher wie sehr geduldige Baustellen.
Die lange Straße zum Palast, mit einfachsten Häusern, oft Marke Eigenbau, verwilderten Hecken und fehlenden Gehsteigen. Ein typisches Außenviertel von Kazan.
Einerseits noch in der Bauphase, anderseits schonwieder am bröckeln, kommt mir der Palast eher wie ein gewaltiges Gewächs vor, das mal hier, mal da neue Triebe bildet…
Gestern noch (vor dem Besuch am Palast) der große Termin mit dem Filmemacher im Auftrag vom Studio RT, Deutsches Büro Moskau, wo wir bei bratender Sonne vom Kreml aus über die Baumana Straße bis ins Hostel sämtliche Szenen drehten, morgen dann das Treffen in der Kazaner Uni, Deutsche Fakultät.
Heute einfach garnichts machen, den langen Weg zurück in die City mit Espresso belohnen, mit der Familie schonmal vor-freuen auf meinen Besuch auf „Heimaturlaub“ bald.
Übermorgen dann Abflug in die Heimat….
Die „Kasanskaja“ dieses Goldüberladene Bildniss Marias mit Jesuskind, hatte ich lang genug gesucht, und fand sie in der Kathedrale allerdings nicht.
Dort steht ein glitzernder Sarkophag… ob die vielleicht dort drinn liegt?
Nicht alles kann ich klären hier, zumal die Stunden bei Espresso und Gespräche mit vielen Leuten über alles Mögliche so wunderbar charmant die Zeit vertreibt.
Doch wichtig: Dieses Maria Bildnis ist für Russland ein ganz, ganz dickes Ding: Schon damals vor vielen Jarhunderten soll das Original, den Zaren zu überwältigenden Siegen verholfen haben, selbst Peter der Große war ganz wild auf das Bild. Doch in den Wirren der Geschichte enstanden gleich mehrere Kopien, und ein vermeintliches Original gilt heute offiziell als verschollen.
Die aktuelle Kasanskaja aber wurde von Wissenschaftlern als historisch sehr authentisch bewertet, ist mindestens 250 Jahre alt und somit mal nicht made in China aus Plastik.
Zugegeben finde ich die slavische Sakralkunst irgendwie überladen-verzerrt; das Jesuskind in adulter schrumpf-Optik mag da etwas verwirren, ist aber wesentlicher Bestandteil der hisigen Sakral-Ästhetik. – Andere Länder, andere Jesus-Kinder.
Kazan, oder gesprochen wie Kasan, nun seit einigen Tagen mein Zuhause sowie noch bis zum 27 August, kurz vor Ablauf meines Visums könnte als finaler Abschluss dieser Fernwanderung nicht besser gewählt sein.
Als Zwischenziel auf dem langen Weg bis zu den Grenzen Chinas finde ich in dieser großen Kulturmetropole über all die Tage ganz viel Abwechslung sowie Menschen hinter den immer touristischeren Kulissen, wie der Reporter Sergey oder der Deutschsprachige Tatare Radik, die in dieser sich schnell wandelnden Metropole wohnen.
Schneller als noch alle anderen 12 Millionenstädte, die in der Gunst darum kämpfen, auf der Touristisch, Kulturell aber auch Wirtschaftlich dritten Stelle – wenn auch mit großem Abstand zu den Überriesen Moskau und Petersburg zu stehen im Riesenreich.
Kazan ist alles: Alt und ganz neu, erfinderisch und voller Expiremente welche die Stadt mal ganz interessant im Kontrast zu der etwa gleichgroßen Metropole Nischni Novgorod setzt; Multikulturell, einst vor 839 Jahren als Hauptstadt eines Tatarenreichs gegründet, (Tatarisches Khanat) und vor 464 Jahren (im Jahr 1552) von Ivan den Schrecklichen erobert, „Russifiziert“ und noch bis heute halb Russisch, halb (ursprünglich) Tatarisch heute eine ganz besondere, lebendige, Mischung.
Nischni Novgorod (1,3 Mio) und Kazan (1,2 Mio) sind somit schon historisch sehr ungleich. Erstere wirkt als große Stadt eher noch provinziell, zwar wirklich groß aber eben etwas verschlafen, lokal und einfach sehr Russisch.
Kazan aber hat eine ganz andere Energie, auch weil hier ordentlich Geld drinn steckt; Ölquellen ließen den Tatarischen Konzern Tatneft sehr mächtig werden, baute kürzlich ganze Sportarenen in die Stadtlandschaft, kilometerweite glanzneue Hochhausfronten für den neuen Mittelstand deuten auf eine große Zukunft hin; Kazan wächst wie nur wenige der „kleineren Metropolen“ Russlands; ein völlig neues Technopolis, sowie die weit außerhalb in die Landschaft geknallte „Innopolis“, eine Universitäts-Vorstadt, beweisen den Masterplan für Gegenwart und Zukunft.
Investieren lohnt also speziell hier, denn noch viele freie Flächen liegen ungenutzt brach in atraktiver Citynähe, wo noch urbane Wildnis etwas wirre das ansonsten so auftrebende Stadtbild zeichnet.
Bis zum Jahr 2030 wächst Kazans Bevölkerung nochmal um mindestens 250.000 Bewohner an, die Stadt zieht die Leute aus der ohnehin dünnen Provinz, bietet mal eine weltliche Alternative zu den beiden ewigen Moskau und Petersburg, wobei das finale Wachstum im Jahr 2050 bei 1,7 Mio seine Vollendung finden dürfte.
Russland ist ja nicht China, wo nahezu endlos viele Neubürger vom Land in die Stadt kommen, und da ist ja noch dieses Moskau…. dieser Primat, reich wie ein Oligarch und ebenso gierig, baut bald weitere Wohnungen für Millionen (so der Plan) ohne zu überlegen was aus all den unendlich weiten Provinzen wird, die Moskau komischerweise wie ein Staubsauger leerfegt, die Menschen verschlingt und nie wieder hergibt…
Eigentlich müsste Russland Millionen Chinesen einwandern lassen um seine großen Pläne überall zu verwirklichen.
Kulturell setzt die Stadt sehr auf ihre historische Größe, die allerdings die Wirren und Verwüstungen der letzten Jarhunderte nicht substanziell überstand.
Der Kreml, also die traditionell Russische Stadtfestung wirkt mal authentisch gelungen als Symbol eines (mittlerweile) friedlichen Nebeneinanders der Kulturen (und Religionen) mit alter Kathedrale und nagelneuer, wuchtiger Moschee daneben, sowie ensembleartig verschiedene Überbleibsel an Bauten, wie Türme, Mauerwerk und Einzelbauten wo etwas unübersichtlich kleinere Museen viel Zeit bedürfen um alles zu überblicken.
Wie ein krudes Disneyland kommt es aber trotzdem nich rüber. Was so angenhem am Kazaner Kreml ist, ist seine Authentizität, seine echtheit in dieser gewachsenen Weise.
Kazan, ein Sammelsurium an Eindrücken…. nach 4319 Kilometern Wanderschaft seit Recklinghausen (Deutschland) ein umwerfendes Ziel…. ja, bis zu diesem besonderen Ort zu wandern, ist schon echt berührend…
Die Mariä Verkündungskathedrale, seit Ivan dem Schrecklichen zentraler Bestandteil des Kazaner Kremls. Heute nach wie vor einer der wichtigsten Kirchen Russlands, wenn auch bei weitem nicht die älteste, ein Symbol der Russisch-Orthodoxen Expansion nach Osten, über Herrschaft aller Völker bis ins hinterste Sibirien.
Der Kazaner Kreml (Alte Stadtfestung) bei Nacht im kulturellen Nebeneinander.
Mitten im Kazaner Kreml steht prächtig die Kul Scharif Moschee, erst seit 2005 ein Neubau, als Symbol des friedlichen Nebeneinanders der Religionen in der Stadt.
Von der „Unterstadt“ der Blick hinauf zur Festung. Damals lebte das einfache Volk in Holzhäusern um die Kremlmauern herum.
Die Moschee mit Blick über die alte Festungsmauer (Kreml) hinunter auf die Stadt.
Der Kazaner Kreml am Abend in sommerlicher Wärme.
Kommt gut rüber mit all dem Flutlicht. Die neue Moschee in der Mitte der alten Festung.
Soll Europas größte Moschee sein, stimmt aber nicht: In der Türkei gibts gleich zwei größere: Die Sultan Ahmed im europäischen Teil Istanbuls, sowei jene in Edirne nahe der bulgarischen Grenze…
Der Gral, oder „the Cup“ von Kazan nahe der Neustadt mit ihren Wolgastränden, eines der neuen Wahrzeichen dieser aufstrebenden, energiegeladenen Metropole.
Die echt schöne Uliza Baumana, für mich Russlands schönste Fußgängerzone mit über einen Kilometer länge soll nkcht die einzige bleiben. Kazan plant richtigerweise noch mehr solche Oasen der städtischen Gelassenheit.
Die Katze als neues Symbol Kazans, wohl eher von der emsigen Tourismuswirtschaft geschickt in Szene gesetzt, wirkt als Magnet fürs Fotoalbum; Hand auf den dicken Bauch, und Du hast Glück. Daran glauben die meist Russischen Touristen gern.
In der Baumana Straße, der noch einzigen Autofreien Meile, baut sich immer mehr ein internationales Flair, besonders im algegenwärtig touristischen Sinne auf; so auch die Kutsche Katharina der Großen als Nachbildung, die damals viel damit durchs weite Reich reiste und heute als die große (Neu)erbauerin Kazans gilt.
Tourismus, Nippes und Souveniers in bunter Fülle gibts satt in der Uliza Baumana, der zentralen Flaniermeile Kazans. Tatarische Puppen (im Fenster) und Russische Matroschkas, gleich Metergroß, warten auf die immer mehr werdenenden Besucher Kazans.
Mann ist das Heiß heute wieder. Ein kühler Becher Kwas muss da her und die Erkundung des Kasaner Kremls bei 35 Grad, kann weitergehen,
Westeuropäische Architektur fand seit Katherina der Großen auch in Kazan Einzug. So wie hier in der weitläufigen Innenstadt.
Beliebt in allen Russischen Metropolen, die Nachbildungen klassizistischer Säulenbauten.
Viele Nebenstraßen der Kasaner Innenstadt sehen so aus seit Katharinas ll Umgestaltung/Neuaufbaus vor über 230 Jahren.
Tataren als Muslime leben zu 46% in Kazan, während Moscheen allerdings wenige im Stadtbild zu sehen sind. Diese hier fand ich nahe meines Hostels in der äußeren Innenstadt.
Die Katze als Symbol Kazans immerwieder zu sehen, so wie hier in der Baumana Straße nebst Chinesischen Touristen die den Souvenierladen stürmten.
Ich treffe viele Leute hier in der Millionenstadt, z.B. Elimira im Hostel, die von mir „Expertenwissen“ über das Reisen in Frankreich erfahren wollte. Da helfe ich ihr gern.
Ein Geheimtipp?
Ich denke ja, so wie eigentlich viele Orte im unfassbar riesigen Russland, gilt besonders Kazan als einer der bald nicht mehr so unbekannten Kandidaten des internationalen Tourismus.
Das hängt auch mit der künftigen Visapolitik zusammen, wobei das drei wöchige Touri-Visum eigentlich ganz einfach über Reisebüros in Deutschland gemacht sind.
Hier in Kazan allerdings treffe ich kaum ausländische Reisende, vielleicht ein paar Reisebusse mit Chinesen, aber um so mehr Russische Traveler. Die machen ca 85% aller Touristen hier aus, und irgendwie tut es schon gut nicht im bunten Theater eines maximalen, internationalen Tourismus unterzugehen.
So, noch ganze fünf Tage bis zum Heimflug… noch ein spannendes Meeting mit Filmreporter aus Moskau, ein Besuch im Deutschen Haus, Neues vom neuen Visum abwarten (ist dank der „Cheboksary Connection“ in Arbeit…) und ganz viel in der warmen Wolga schwimmen.
20.08.2016
Auch Kazan ist gut zu mir und will auch alles wissen. Einer der 1.216.000 Einwohner dieser Stadt, ist Journalist Sergey, der mich unvermeidlich übers Bloggernetzwerk in Cheboksary aufspührte.
Es ist aufregend zu wissen, dass ich zwischen Petersburg und Wladiwostok durch all die elektronischen Medien schwirre… ob auch schon der große Vladimir in Moskau bescheid weiß ?
Auch ein großes Lob an die Schuhe; Die deutsche Marke Meindl lief ich schon seit 9000 km auf allen Wegen, und ja, mit meinen 62 Kilo laufen die natürlich weniger schnell ab als mit 85 auf der Waage.
Noch einmal gibt Russland alles und schenkt mir sein Reichtum: Ein kostenloser Haarschnitt sowie ein Bett für lau im „Cat on the Roof Hostel“ – eingeladen über Couchsurfing kann ich in meiner „Bettkapsel“ so lang bleiben wie ich will.
Noch fünf volle Tage habe ich hier in dieser lebendigen Millionenstadt voller Energie, die so anders ist. Heute ist Sonntag, wieder heiße 35 Grad… und Zeit für Erkundungstouren in und um den Kreml, diesmal mit dicker Moschee mittendrinn…
Frisör und Jens kompett zufrieden; umsonst hatt mir der Maestro die Haare auf praktische Spätsommerkürze getrimmt.
Endlich, endlich, endlich…. Sergeys Freundin weiß sofort mein Frisurproblem zu lösen und stellt mich sofort ihrem Frisör vor
Interessante Gesprächspartner wie die 21 jährige Anna; Politik, Soziales, internationale Beziehungen; gut informiert sind sie hier in Russland, besser als bei mir Zuhause so mancher denkt…
Dank einer 100 Euro Spende kann ich jetzt auch die letzten Tage überstehen; Frühstück bei Mc Donalds, Essen in der Kantine, und natürlich das heilige Bier vom Fass (1,50€ das Pint) am Abend….
Spender und Weltreise-Seelenverwandter Reiner (selbst momentan im Kaukasus unterwegs) mag es mir gönnen.
Danke mein Lieber dafür 🙂
Neue Republik, neues Glück; nach 1763 Kilometern auf Russischem Boden erreiche ich nun das große Zwischenziel: Kazan, die Haupstadt des kleinen Landes im Land.
Und nun?
Zu früh angekommen, da all die Kilometer auf dem platten Land Hungerkur angesagt war, vielleicht mal alle 25 km eine Tankstelle oder Kaschemme, da musste ich ja rennen um anzukommen.
Gestern 35 km, vorgestern 40.
Dennoch ist genug Zeit, viel Zeit, denn mein Visum läuft erst zum 29.08 aus, werde diese letzten Tage in der Metropole Kazan (gesprochen: Kasan) verbringen, wieder eine der eher unbekannten Millionenstädte hier im großen Osten Europas.
Tataren kennt man schon irgendwo her, dieses Turk-Volk, einst von den Routen der Seidenstraße mal nach Norden abzweigend, bilden sie heute an der Wolga das nördlichste, muslimische Volk der Welt.
Wobei hier in den geschwungenden Weiten des hügeligen Graslandes mit vielen Äckern, erstmal keine Moschee zu sehen ist, sind 55% der 3,9 Mio Bewohner Tatarstans Muslime, so wie 46% Tatarisch und 40% Russisch sind.
Überhaupt; Russland und der Islam sind seit vielen Jarhunderte miteinander vertraut, leben doch heute 19,2 Mio Moslems in diesem Land, was 13% der Russischen Bevölkerung ausmacht (148 Mio), wer hätte das gewusst?
Noch einmal komme ich der Wolga so nahe, kämpfe mich auf und ab den langen, steilen Anstiegen über die Hügel, schwitze entsetzlich; 33 Grad sind es tagtäglich, die Sommer sollen heißer geworden sein erzählt man, der Regen dafür weniger. Die reichen Ernten der Gegend (50% Tatarstan sind Landwirtschaftlich genutzt) müssen zukünftig wohl durch Bewässerung gesichert werden, während die Winter mit minus 20 – 25 Grad eher weniger streng ausfallen.
Glück für Russland, wenn die globale Klimaerwärmung an Fahrt gewinnt; gewinnt auch der größte Flächenstaat der Erde. Der liegt ja so unglücklich Sub-Polar, Permafrostig im Norden, könnte bald neues Agrarland gewinnen dank der neuen Wärme, könnte locker Getreide für eine Milliarde Menschen produzieren…
Wenig Platz auf der Straße, dafür tolle Ausblicke auf Wolga und Nebengewässer.
Da ganz hinten sehe ich das Inseldorf Swiaschsk, inmitten der Wasserlandschaft einer im wahrsten Wortsinn ausufernden Wolga.
Weit schlängeln sich große Ausläufer der Wolga ins umgebene Land, quer durch Tatarstan macht die mächtige Wolga hier als größter Stausee Europas, die Region zu einer der Wasserreichsten im Riesenland.
Was essen die Tataren denn so? Erstmal Russisch; Reis und Hühnerbein, deftig und kompakt für 350 Rubel (5€), inklusive Cola. Dieses Essen soll dann für die nächsten 23 km (!) reichen …
Schwer zu knipsen: Eine seltende Wespenspinne flüchtet über meine Campingplanen. Die sieht gefährlich aus, ist aber nur schwach giftig und kaum agressiv. Zumal ihre Klauen zu klein sind um durch die Haut zu beißen.
Ja, das wandern selbst ist mal ganz schön hart; schlechte Seitenstreifen voller spitzer Schottersteine, heiße Sonne, kein Schatten, fette 40 Tonner die mich krachend laut auf 20 cm schneiden… es geht ständig bergauf und der Wanderwagen fährt ja nicht von selbst.
Um so schöner kommt dann der „Feierabend“, oft nach 35 km wenn endlich (endlich) ein winziger Straßen-Dorfladen kaltes Bier und Wasser bereithält.
Dann dauert es nicht lang und ich nehme mir das Land; zelten auf riesigen Sommerwiesen. Unvergessliche Momente..
Die große Brücke über die Wolga war erwartungsgemäß dramatisch, wie überall durch Baustellen noch enger, noch weniger Platz und eigentlich wäre es garnicht möglich hier zu gehen. Aber ich muss da durch, gucke einfach nch vorn und ziehe die Meter gradeaus durch…. auf Zentimeter „in touch“ mit all dem Schwerlastverkehr.
Kazan, ich sehe es links in der diesigen Ferne über den Wolga See…. noch 20 km wegen eines Umweges, die Autobahnartige Straße scheint nie zu enden, Wald umgiebt das Vorurbane Verkehrsgetöse auf quälende Kilometer; wieder bin ich ausgemergelt, hungrig denn die Vorräte sind dank nicht vorhandener Versorgungsmöglichkeiten leer.
Dann knallt noch ein Reifen durch.
20 Minuten brauche ich um den Schlauch zu wechseln, greife die letzten 10 km an, finde aber inmitten dieses Vorstadt – Waldes diesen wunderbaren See; grünes, frisches Wasser…. ich denke nicht, mache nur…. tauche, schwimme und dümpel in dieser Traumwelt.
Russland jetzt von seiner schönen Seite.
… Ja, das erste Ziel ist tatsächlich bald erreicht: Noch 100 km bis zur Metropole Kazan, wo meine gemalten Striche auf der Landkarte aufhören, wo eben das Visum endet…
Fast geschafft, welch bangen und hoffen all die fernen Kilometer zurück, ob ich es überhaupt soweit schaffe; insgesamt 1080 € an Spenden machten den Lauf seit Tallin (Estland) überhaupt möglich, über drei Monate ist das jetzt her, gut 2000 km .
Jetzt bin ich erstmal in einer Oase auf der öden Fernstraße, dieser Irbis Raststätte wo es endlich Internet (WiFi) gibt, für 2,20€ ein deftiges Frühstück (Plov-Reis mit dicker Frikadelle, & Softdrink) verputze. Hier irgendwo im Nirgendwo zwischen Cheboksary und Kazan.
Cheboksary, diese in unseren Breiten ja nun völlig unbekannte Großstadt, verließ ich erstmal mit einer Reifenpanne, platt und ohne Flickzeug stand ich wirkloch blöd da; das Russische Reifenflickzeug taugte leider nicht die Bohne; die Klebe hielt nicht im geringsten.
Oh Glück, zwei Autowerkstätte später, wurde mir eine schummerige Garage gewiesen, in der wohl ein Reifenhändler und Reperateur zu finden sei.
Der hatte sogar ganz zufällig den selben dünnen Schlauch gleich neben der Werbank hängen…. Zufälle gibts… reparierte den alten noch. Ängstlich aber auch dankbar zückte ich die Börse, … was mochte das nun kosten? Konnte sie aber gleich wieder einstecken; der Wanderwagen wirkt manchmal kleine Wunder, und brauche nichts bezahlen.
Jaja, so heldenhaft mein Tun durch dieses kontinental große Land zu spazieren, so verletzlich ist allerdings auch alles; hätte mich der Platten auf endlos weiter Fernstraße getroffen, was währe dann?
Besser nicht weiter überlegen und einfach staunen über all die Leute die mich um ein Selfie (Foto) bitten, schließlich bin ich offenbar eine kleine Berühmtheit im Land geworden. Dank der letzten Interviews kursiere ich im Internet und dem einen oder anderen Fernsehbericht durch die Medien….
Ich esse wie ein Staubsauger, verschlinge all die Einkäufe von Cheboksary und stehe zum Tagesende, 33 km fast ohne alles da. Unmöglich jetzt einfach das Zeltlager aufzubauen, auch wenn links und rechts eine offene Traumlandschaft mit weiten Wiesen und einladenen Pinien locken; wieder hungrig muss ich also bis zur nächsten Stadt traben, Ziwilsk, eine 13.000 Einwohnerstadt mit mal so gar keinem sehenswerten Inhalt, lediglich ein Monument inmitten des zentralen Kreisverkehres versucht sowas wie eine örtliche Identität zu stiften.
Eine goldglänzende Neubau-Kirche steht ganz weit draußen am Ortsrand.
Die allerletzten 5000 Rubel ziehe ich mir heute an diesem 16 August vom Automaten in Ziwilsk, wo ich nun zum erneuten Einkauf von Proviant kurz zurückkehre, dort vergeblich noch ein Lokal mit WiFi suche. Hier gibts einfach garnichts… und bin froh für den Tag die Speicher nun gefüllt zu haben.
Schwer beladen (5 Liter Wasser) holpert der Wanderwagen über die Schlaglöcher in Richtung Ferne.
Die Telefonate mit Georg und Mama werden zum einen feierlicher, da ich bald nach Hause komme, zum anderen angespannter, da ich für die letzten zwei Wochen nur noch 65 Euro habe.
Mama hat kein Geld, und Georg hat schon mehr als genug gespendet, jetzt hoffe ich noch auf ein bischen Glück für’s Spendenkonto, eben für die letzte Zeit in Kazan. Der Heimflug ist fast bezahlt, es fehlt noch der Wanderwagen als Extra-Gepäck, was locker mal 50 € kostet, denn der muss mit, weil viele Reperaturen anstehen, sowie ich ihn unbedingt brauche für meine Vorträge übers Fernwandern, um für die baldige Fortsetzung zu verdienen.
Unglaublich: Wieder hält ein Auto und zwei junge Männer stürmen über den Asphalt zu mir; ein Foto wollen die, versuchen irgendwas auf Englisch zu sagen und sind schnell wieder weg.
Unwirklich finde ich mich im Trott meiner Einsamkeit, vertieft in all den Gedanken wieder… bis wieder jemand hupt und winkt, den Daumen zeigt…
Irgendwie freue ich mich total über die kleine Unterbrechung, sehe bald die Familie wieder… anderseits könnte und würde ich einfach weiterlaufen, ja bis Wladiwostok…. gewöhnt habe ich mich so sehr ans Land, doch wo kein Visum da kein Weg mehr…. und so knapp wie jetzt war auch mein Geld noch nie.
Heute: 17.08.2016, ca 30 km weiterwandern ohne irgendwelche größeren Orte. Lediglich das Dorf Emetkino lässt mich auf einen Laden hoffen um dort Brot und Trank zu finden.
Zum Tagesende will ich die Grenze zur nächsten Republik erreichen; Tatarstan, das Reich der Tataren erwartet mich dann…
92 Kilometer sinds von Cheboksary, bis zur Nachbar-Haupstadt Yoshkar Ola ( 240.000 Einwohner ) die allerdings strikt nach Norden gelegen kaum auf meine Wanderroute nach Osten passt.
Also dann mal für 2,80 € in den kleinen Bus und los gehts. Ganze 80 km führt die Straße durch ununterbrochendes Waldgebiet. Kein Dorf, kein Garnichts bis dahinter plötzlich die typisch, triste Plattenbaufront erscheint: Yochkar Ola ist erreicht.
„Rote Stadt“ heißt Yochkar Ola in der Sprache der Mari übersetzt, und „Mari El“ (Menschen-Land) die Bezeichnung dieser neuen (Teil)republik, erschaffen als Wortspiel für’s Territorium der ehemligen „Tscheremissen“ wie dieses finno-ugrische Volk ethnisch korrekt heißt, also im Gegensatz zu den Turk (türkisch) affinen Tschuwaschen ursprünglich aus dem finnischen Kulturkreis stammten.
Welch ein Durcheinander im Post Völkerbewanderten Wolgagebiet, mit all ihren Nationen im Staat.
Ja, es ist alles sehr erschwinglich hier, das Hostel kostet nur 450 Rubel, lande somit ins letzte freie Bett im Gemeinschaftsraum, schwitze aber die ganze Nacht wie Hulle…. mit wieder über 35 Grad war der Tag echt wieder Russisch – Tropisch ….
Zuvor konnte ich mir die Stadt ansehen, die neuerdings in ganz Russland für Aufsehen erregt; nahezu komplett neu glänzt ein kurioses Disneyland-Stadtzentrum voller Nachbauten aus der ganzen Welt.
Flucht nach Vorn hat’s wohl geheißen, als noch das Stadtzentrum aus wäldlich, urbaner Wildnis bestand, die kleine Haupstadt nahezu frei jeglicher bildliche Identität war, und der Zerfall nur noch Yoshkar Ola als lokaler Universitätsstandort etwas entgegensetzen konnte, wo es sich billig lebt.
Abertonnen geschliffener Granit umranden den neuen Festungskomplex, markieren somit den Umriss eines Kremls, den es historisch in der jungen Stadt nie gab. Vor ca 450 Jahren gegründet von den expandierenden Russen noch als Militärfestung, ausgerechnet zur Eroberung des dortigen Mari Landes, blieb Yoshkar Ola noch bis zum Ende der Zarenzeit, vor über 100 Jahren, lediglich ein ärmliches Provinznest von kurzlebigen Holzhäusern.
Also, nicht nur in China enstehen neue Eifeltürme oder bayrische Landschlösser vom Reißbrett, auch in Yoshkar Ola lässt sich ein kurios mutiger Versuch bewundern, einer völlig neuen Selbsterfindung; Belgische Gildenhäuser, Italienische Turmbauten, Deutsche Schlossromantik, und venezianische Dogenbaukunst – wenn auch letzteres im Rohbau, um nur einiges zu nennen, wirken wie eine Fata Morgana in der unendlich, tristen Weite einer Tundra ähnlichen Waldlandschaft, weit, weit hier im unbekannten, fernen Osten Europas.
Das Land der Mari El ist zwar fast doppet so groß wie das nahe Tschwaschien, hat aber mit 687.000 Einwohner nahezu die Hälfte der Einwohner.
Arm und schwerpunktmäßig auf die Holzindustrie beschränkt, leidet die ohnehin kleine Republik unter starker Abwanderung, dürfte selbst seine erfinderische Haupstadt bis 2050 ganze 40.000 Bewohner ärmer sein; der Tourismus aber dürfte es schaffen den Schwund zu begrenzen, anderes nämlich, gibt es in Yoshkar Ola nicht.
Und auch hier heißt es das Rampenlicht in Stellung zu bringen; Nastja trifft mich am nächsten Morgen um halb neun zum Interview; natürlich übers Wanderleben, aber auch um mir einiges über ihre außergewöhnliche Heimatstadt zu erzählen.
Wobei sie als Weißrussin vor 25 Jahren geboren, lang in Südrussland lebte, heute aber ihr Herz in Yoshkar Ola zu Hause weiß.
Ein Tag (und eine Nacht) in Yoshkar Ola, 92 km abseits vom Wanderweg.
Mal im venezianischen Baustil, dieses neue Haus nahe der Innenstadt.
Unweit der Innenstadt von Yoshkar Ola fallen wieder diese farbenfrohen Kuppeln der Kirchen auf.
Das staatliche Mari – Theater mit Aufführungen ausschließlich in der Mari Sprache in bekannter Palast-bauweise – selbstverständlich gleich mit einem Lenin nebenan.
Pomp und Gloria, griechische Säulen. So mag (mochte) man die Stadtplanung im Russischen Reich, wobei hier in Yoshkar Ola alles noch recht neu ist.
Eine tolle Fußgängerzone zieht sich mal einen Kilometer durch die neue Innenstadt, für Russische Verhältnisse schon sehr groß.
Die Hitze macht hier selbst die Jüngsten zu schaffen. 35 Grad hier in Yoshkar Ola an diesem 20 August.
Dem Moskauer Kreml nachempfunden, Portal mit Kathedrale, alles brandneu, erst ein paar Jahre alt.
Knapp ein Jahr fertig, die glitternde, glänzende Zentralkirche im komplett neu erschaffener Umgebung des wohl jüngsten Krmls in Russland.
Eine komplett neue Kulisse entlang des Flusses schaffte sich Yoschkar Ola, so wie hier eine Simulation der Gildenhäuser von Brügge in Belgien.
Und mal im Genovesischem Stil, das „Grand Chateau“ – französisch benannt und italienisch gestylt…. gibts eigentlich nur in China noch, oder eben in Yoshkar Ola…
In jeder Russischen Stadt vorhanden: Die Flamme des unbekannten Soldaten, so auch hier gleich mitten in der Fußgängerzone von Yoshkar Ola.
… Und wieder zurück nach Cheboksary, wo das ganze Gepäck (Wanderwagen, Rucksack) im Hostel zwischengelagert sind. Immernoch folge ich der Einladung Adners (den ich allerdings die letzten zwei Tage nie mehr wieder sah) im Filippo Hostel zu bleiben, lohnt sich ohnehin nicht mehr heute noch groß zu wandern, werde morgen früh dann wieder starten, …. auf nach Kazan…
… Erst exotische Millionenstädte, und nun ganze Republiken, ja Länder die sich hier in den unendlichen Weiten des Russischen „Kontinents“ finden.
Ja, natürlich aus der Deutschen Perspektive, wenngleich hier in Russland natürlich jeder die Republik Tschuwaschien kennt, besonders wer selbst zu den 1,23 Mio Einwohnern dieses Landes gehört, oder zumindest aus dem Schulunterricht. Überhaupt kennen die Russen sich in ihrem Riesenland recht gut aus, ein Resultat einer effizienten Heimatkunde seit Schulzeiten.
Einerseits ein Punkt auf der Landkarte, doch nun mal ein echter Staat im Staat; Tschuwaschien, eine der 22 Repubiken (!) im Land bildet nun den Übergang im Wanderleben vom Altrussischen Kernland in die weiteren Gebiete anderer Völker, die vor zwei, drei Jarhunderten im Zuge der östlichen Expansion des Russischen Zarenreiches, stattfanden.
Erstmals staune ich im Weitblick übers Land; auf und ab zog sich der Übergang von der Altrussischen Nischni Novgorod Oblast hinüber nach Tschuwaschien mit fantastischen Fernsichten:
Oh Gott, welch ein weites Land…. Tschuwaschien, Nischni Novgorod Oblast, sowie die Republik Mari El am Horizont rechts, vereint zur Russischen Welt in all ihrer Weite ….
Grün, saftig und so lebendig; jeder Meter dicht bewachsen voller Leben. Mein weites Russland im Duft seines so warmen Sommers, voller Erhabenheit bis (warhaftig) zum Ende der Welt.
Welcher der 127.000 Flüsse mag das sein? Ich hab es vergessen, aber werde wohl diesen Moment zur kleinen Pause am Geländer mit Flussblick niemals vergessen.
Der Wanderwagen in Sichtweite und alles ist gut; futtern (Plov-Reis mit Hühnchen) in der Raststätte für nur 2,70€ um die nächsten Kilometer zu schaffen.
Irgendwie wie ein Grenzübergang; von der großen Nischni Novgorod Oblast in die Republik Tschuwaschien. Mitten im tiefsten Russland aber.
Die erste Nacht auf Tschuwaschischem Boden steht bevor, hier auf dem Acker, weit genug von der lauten Straße entfernt.
Im Straßendorf Yungaposi gibts erstmal für kleines Geld einen Kaffee + WiFi Internet (rechts im blauen Haus) als wilkommende Pause zwischen all den endlosen Kilometern.
Und immer wieder Landschaften ohne Ende.
Traum – Ausblick vom Zelt auf die Felder Tschuwaschiens, bei 25 Grad am Sommerabend.
Selbstverständlich habe ich kürzlich kaltes Bier vom letzten Laden an der Straße dabei und feiere den Abend nach deftigen 35 Kilometern Fußmarsch verdient.
Und natürlich gibts in der versteckten Republik auch eine Haupstadt: Cheboksary, die ich Donnerstags am 11 August bei 30 Grad Sommersonne verschwitzt erreiche, aber freudig die Nachricht empfange dass Adner Yegorov, mich dazu einlädt ins Filippov Hostel zu nächtigen.
Digital hatte ich mich schon verabredet mit jemanden zum Couchsurfen, entscheide mich aber letztendlich für den Blogger, Journalisten, Historiker und Netzwerker Adnan, eine Waschechten Tschuwaschen, wortwörtlich.
Der hat auch gleich ordentlich Puplikum aufgefahren um den müden Wandersmann gebührend zu würdigen; ca 10 Studenten quer aller Fakultäten versammeln sich im rustikalen Bierlokal ganz nahe dem Hostel um mich.
Das Bierlokal steht ganz im Zeichen dafür, dass sich Cheboksary als Bierhauptstadt von ganz Russland rühmt, ein Biermuseum gleich nebenan will ich noch besuchen die Tage, Zeit nehme ich mir hier an diesem Ort gern, denn am 27.08 geht ja wieder der Rückflug des Visums wegen in die Haimat, und bis Kazan, dem großen Zwischenziel ist’s nicht mehr so ganz weit.
Die noch historisch jüngere Stadt Cheboksary, soeben 500 Jahre alt liegt direkt an der Wolga, wächst allerdings noch immer und hat seinen Höchststand warscheinlich noch nicht erreicht; 472.000 Menschen sind hier Zuhause, was zudem deutlich das neue Wahrzeichen „Mother Patroness Monument“ – ich nenne es „Mama Tschuwasch“ – zeigen soll, ein Symbol des „Zuhause sein“ in Erinnerung daran wo man herkommt.
Tschuwaschien: Eine kleine, charmante Entdeckung hier ganz weit am unbekannten, östlichen Rand Europas liegt zusammen mit den anderen Republiken „Mari El“ und „Tatarstan“ ( dem Tataren-Land ) an der großen Wolga, die hier teils so breit aufgestaut ist, dass der Blick nicht hinüber gelangt.
Die übersichtliche Innenstadt Cheboksarys reicht gut und gern für einen Tagesaufenthalt. Es ist billig hier, der Espresso für 1 €, der halbe Liter gutes Bier vom Fass für 80 Rubel (1,10€) sowie ein Essen für 350 Rubel (5€) sind überschaubar.
Mir fällt auf, dass Cheboksary ein jüngeres, vitaleres Stadtbild hat als ähnliche Städte dieser Größe; Neubauten, sowie Rohbauten (wegen der Wirtschaftskriese) im Baustopp, prägen das Bild.
Schlimm aber: Immer mehr junge Leute verlassen (wie überall in Russland) ihre Dörfer um nach Cheboksary zu ziehen. Noch schlimmer: Mir erzählen nicht wenige, dass sie sogar ganz fortziehen wollen, – selbstverständlich nach Moskau.
Wieder finde ich mich im Getümmel einer „Press Conference“ wieder, diesmal im Schatten des Mother Monuments im Herzen Cheboksarys. Reporter, Studenten und sogar die Polizei – vorgefahren im nostalgischen Lada der 70er Jahre, klebt mir demonstrativ Reflektoren an den Wanderwagen.
Das hat’s auch noch nicht gegeben: Mit der Polizei im Rampenlicht, inclusive alten Dienstlada nebst Wanderwagen. Blogger Albert (l.) auch dabei.
Fragen & Antworten beim Pressetermin morgens um 10 am Mama-Denkmal. Auch der Wanderwagen muss aus dem Hostel mitgenommen werden.
Keine Ahnung wer welche Zeitung oder welchen Internet Blog bedient. Ich antworte und erzähle, erzähle und berichte vom Wanderleben….
Den Wanderwagen (demonstrativ) verkehrsicher machen. Dürfte bei den noch anstehenden 8.500 km bis Wladivostok auch ganz nötig sein.
Da passt auch noch ein Reflektor hin; nun ist der Wanderwagen wirklich verkehrsicher!
Mit dabei: Die junge Bildungs-Elite, auch interessiert an so unkonventionelle Erscheinungen wie Wanderer auf dem Weg um die Welt.
Marina übersetzt von Deutsch ins Russische. Die stolze Tschuwaschin spricht nahezu perfekt Deutsch.
Das Filippov Hostel beherbergt mich gratis, ein vorbildlich, top geführtes Haus mit fantastischen Duschräumen, großzügig in Marmor und wenig belegten Mehrbettzimmern, WiFi, und eben kaum internationales Publikum, da Cheboksary einfach kaum bekannt ist in den restlichen (westlichen) Breiten Europas.
Erstmal gibts viel zu tun: Wäsche waschen, trocknen, Duschen, und, und, und…. Nach acht Tagen draußen auf Wanderschaft stinkt nahezu jedes einzelne Kleidungsstück.
Begrüßung mit Gastgeber und Gönner Adnar (rechts) sowie Kollege Andre mit Nachwuchs im Filippo Hostel mitten in Cheboksary.
„Will ich auch mal machen, wenn ich groß bin“ – um die Welt spazieren.
Und so schlage ich mich mit den letzten Resten an Rubeln durch die Stadt, überlege hin und her wie es noch die nächsten drei Wochen weitergeht bis zum Heimflug (der ist bereits bezahlt) und hoffe weiterhin auf Kilometer-Spenden. Mein Spendenkonto findet sich unter „Kontakt“ hier auf der Website.
Cheboksary, Tschuwaschien, Wolga, Nina, und ständig Sommerwetter; eine schöne Zeit in einer spannenden, freundlichen Großstadt …. so fern, aber immernoch in Europa…
Natürlich hat die Republik Tschuwaschien auch eine eigene Flagge.
Ausblicke auf die Stadt Cheboksary, sowie einer schönen Zeit nach langer, langer Wanderung…
Das Zentrum von Cheboksary im späten Licht des Nachmittags.
Weiter rechts zur Wolga hin steht das Monument der Mutter.
Stadteindrücke am Nachmittag in Cheboksary.
Nina die gute Fee von Cheboksary, erklärt mir ihre Heimat.
„Zuhause“ – welch ein schönes Monument; die Mutter Tschuwaschiens, erst vor wenigen Jahren erbaut am Wolgahafen in Cheboksary.
Mama hält die Arme offen, denn hier ist eure Heimat. Das rührt mich sehr.
Nahe der Innenstadt ist in Cheboksary noch genug Platz zum bauen. Wie wärs mit einer riesigen Shoppingmall hier? Wer hat mal ein paar Millionen zum investieren?
Neue Wohnungen brauchen die Städte auch in Russland. Nach 60 Jahren verfallen die Plattenbauten draußen in den Randbezirken immer dramatischer.
Stadbild östlich der Innenstadt mit neuen, modernen Wohnhochhäusern.
Der Platz der Republik mit der staatlich, tschuwaschischen Akademie der Landwirtschaft. – Müsste eigentlich „Parkplatz der Republik“ heißen, da hier eher alles für Autos und Busse ausgelegt erscheint.
Jede Stadt ihren Lenin. So auch hier in Cheboksary am Platz der Republik.
Natürlich hat die Republik Tschuwaschien auch einen eigenen Regierungspalast, gleich hinter dem Leninpark in bekannter sozialistischer Pracht.
Umzingelt von 14 Jährigen in der Fußgängerzone von Cheboksary kurz nach dem Journalisten/Blogger Meeting; den Digital Natives entgeht heute nichts und wurde schnell erkannt.
Morgen (Samstag) mache ich sogar einen Ausflug: Rüber nach „Mari El“ will ich. … 92 Kilometer Busfahrt in dessen Haupstadt Joskar Ola sind dann angesagt und bleibe eine Nacht dort.
Vielleicht bin ich da privat eingeladen; die Kontakte über Facebook laufen heiß, und wer weiß was alles kommt.
Sonntag bleibe ich dann noch in Cheboksary, Adnar mag mich noch länger hier halten. Was er wohl vor hat?
Montag dann mache ich mich auf den Weg nach Kazan, vorläufig die letzten Kilometer durch dieses großartige Land….
… Oder Kilometer Nr. 4.113 von Recklinghausen (Deutschland) aus betrachtet, – oder 9.363 km insgesamt, mit Jakobsweg verbunden durch nahezu ganz Europa, von West nach Ost in einem Stück.
Hey, kommt ja echt schon was zusammen im Wanderleben, und habe noch nicht einmal dafür den Kontinent verlassen. So groß ist er, so unbekannt … oder kennt jemand Tschuwaschien? Die Republick Tschuwaschien!
Ja, bis dahin bin ich jetzt fast gekommen, wandere Tage durch recht leeres Land, freue mich nun über die Oasenartige Luk-Oil Tankstelle mit Cafe, Laden und jaaaaa: WiFi Internet.
Steckdosen zum aufladen inklusive, der Akkurasierer jubelt.
Etwas fertig noch von der Nacht bin ich, trinke mal ausnahmsweise den Espresso aus Pappbecher, blicke auf eine stark verregnete Nacht zurück, und unglaublich nervende Mäuse am Zelt; die nagten lautstark am Wanderwagen, wühlten sich sogar unter der Luftmatratze im Erdreich. Ein Biss und das gute Ding knallt. Aufregung sowieso…. der Tag zuvor hatte es auch in sich….
Der gute 500ter den ich mal am Straßenrand fand, war eine Blüte… gestern wollte ich schön was kaufen davon, und kassierte stattdessen deftig Zoff; die bullige Olga war kurz davor mir den Abakus am Kopf zu fetzten, schimpfte lautstark über das offenkundige Spielgeld.
Anstatt irgendwie nur zu versuchen zu erklären, dass ich ein schusseliger Ausländer, ja Tourist sei, dem sowas ja nicht auf Anhieb auffalle, ergriff ich die Flucht, ließ die drei Sachen meiner Wahl auf der Theke liegen. Schnell nur noch weg.
Den falschen 500er aber klatschte sie mir noch vorwurfsvoll auf den Tisch, griff den einfach und verschwand.
Zum Glück fand ich gleich weiter einen anderen Laden, füllte so prall wie nur möglich die Vorräte auf, denn auf der Landkarte droht die nächsten 100 km nichts und wieder nichts ….
Lediglich karge Dörfer mit uralten Babuschkas die ihre Äpfel und Gurken am Standstreifen der Fernstraße feil bieten, sowie kleine Tankstellen mit überschaubaren Getränkeangebot gibts hier.
Erst Pfifferlinge, jetzt Äpfel; Saison am Straßenrand, ein so typisch Russisches Bild.
Von den Behörden geduldet, da garantiert steuerfrei; Verkaufsstände in den Kleindörfern.
Flucht aufs weite Kleefeld vor den Moskitos. Hier im Freien bin ich sicher vor alles was brummt und sticht.
Weiter, weiter, weiter…. da hinten liegt die Republick Tschuwaschien, ein Teil Russlands.
Also, Tschuwaschien ist heute dann mal angesagt, eine dieser unbekannten Republicken des Russischen Kontinents…. verlasse somit dann das Russische, historische Kernland und wandere nun in neue, spannende Gebiete.
Hier, ganz weit am östlichen Rand Europas …
Seit Kstowo, der letzten Stadt hinter Nischni Novgorod kam einfach nix mehr, endlose Weite und zumindest Tankstellen, die sind gut für den einen oder anderen Energy Drink zwischendurch.
Viel zu erzählen gibts mal nicht jetzt hier ca 65 km weiter in der Kleinstadt Lyskowo, (21.000 Einwohner) die mit ihren Stadtleben und dem großen Kaufhaus mal wieder richtig gut tut.
Noch drei Tagesmärsche bis Ceboksary, der nächsten Großstadt, dort will ich drei Tage bleiben.
Eindrücke von der Fernstraße M7, Hitze, viel Kopfkino, und Kilometer, Kilometer, Kilometer ….
Zelten nahe der Straße; zwar keine Moskitos, aber laut ohne Ende über Nacht.
Na wo gehts denn nun lang? Bis Лысково (Lyskowo) will ich es heute noch schaffen….puuhh, 15 km sind schon geschafft, noch 25 mehr …
Schönes Russland; abseits der Fernstraße pausiere ich im Schatten der Bäume mit Weitblick übers Feld.
Weizenanbau dominiert in der Nischni Novgorod Oblast, ein riesiges, reiches Land, was bald noch mehr Getreide herstellen will als Kornkammer für die Welt…
Mein Alltag auf den steinigen Standstreifen der Fernstraße, mal bergab ganz angenehm.
Satte Anstiege aber lassen mich kräftig schwitzen. Auf und ab gehts hier in der Nischni Novgorod Oblast bei über 30 Grad…
Sauberes Russland: Viel getan wurde ich den letzten Jahren um das Müllproblem in den Griff zu bekommen, Müllsammler säubern den Straßenrand. Russland macht sich, und es ist wirklich sauber hier.
Letze Zeit hatte ich zimlich Kopfweh, offenbar wegen der permanenten Sonne, was die Birne auf dauer kräftig einheizt. Ansonsten „läuft“ die Gesundheit wieder ganz super, ich denke das überhaupt dieses tägliche gehen als einer der ursprünglichsten Zustände des menschlichen seins, viele gesundheitliche Probleme einer neuzeitlichen Lebensführung, beantworten kann; ich selber, kaum krank, als auch Freund Georg (65!) – immernoch auf dem Jakobsweg, befreit sich nahezu wunderhaft von alten, endlos-Beschwerden, nimmt ordentlich Kilos ab und entdeckt sich irgendwie neu – oder anders.
Er ruft mich ja täglich (über die günstige Scype-Telefonie) an, berichtet mir von seinen Etappen.
… Außerdem wirds wieder eng: Noch knapp 100 Euro in der Wanderkasse, – selbst für mich zu wenig für die anstehenden etzten drei Wochen Wanderschaft durch Russland.
Bald in Deutschland will ich genug zusammenkriegen für die anschließenden 8.500 km bis Wladiwostok, bin aber jetzt noch auf Kilometer-Spenden angewiesen, die es mich bereits bis hier schaffen ließen…