Kilometer Nr. 1.557

… Oder Kilometer Nr. 4.113 von Recklinghausen (Deutschland) aus betrachtet, – oder 9.363 km insgesamt, mit Jakobsweg verbunden durch nahezu ganz Europa, von West nach Ost in einem Stück.

Hey, kommt ja echt schon was zusammen im Wanderleben, und habe noch nicht einmal dafür den Kontinent verlassen. So groß ist er, so unbekannt … oder kennt jemand Tschuwaschien? Die Republick Tschuwaschien!

Ja, bis dahin bin ich jetzt fast gekommen, wandere Tage durch recht leeres Land, freue mich nun über die Oasenartige Luk-Oil Tankstelle mit Cafe, Laden und jaaaaa: WiFi Internet.
Steckdosen zum aufladen inklusive, der Akkurasierer jubelt.

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Guuuuten Moooorgen.... mein Bett im Kornfeld auf den hintersten Kilometern in den Weiten der Nischni Novgorod Oblast.

Etwas fertig noch von der Nacht bin ich, trinke mal ausnahmsweise den Espresso aus Pappbecher, blicke auf eine stark verregnete Nacht zurück, und unglaublich nervende Mäuse am Zelt; die nagten lautstark am Wanderwagen, wühlten sich sogar unter der Luftmatratze im Erdreich. Ein Biss und das gute Ding knallt. Aufregung sowieso…. der Tag zuvor hatte es auch in sich….

Der gute 500ter den ich mal am Straßenrand fand, war eine Blüte… gestern wollte ich schön was kaufen davon, und kassierte stattdessen deftig Zoff; die bullige Olga war kurz davor mir den Abakus am Kopf zu fetzten, schimpfte lautstark über das offenkundige Spielgeld.
Anstatt irgendwie nur zu versuchen zu erklären, dass ich ein schusseliger Ausländer, ja Tourist sei, dem sowas ja nicht auf Anhieb auffalle, ergriff ich die Flucht, ließ die drei Sachen meiner Wahl auf der Theke liegen. Schnell nur noch weg.
Den falschen 500er aber klatschte sie mir noch vorwurfsvoll auf den Tisch, griff den einfach und verschwand.

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Wer ist der echte? Oben die Blüte vom Straßenrand, unten ein echter Schein. (500 Rubel = 7€)

Zum Glück fand ich gleich weiter einen anderen Laden, füllte so prall wie nur möglich die Vorräte auf, denn auf der Landkarte droht die nächsten 100 km nichts und wieder nichts ….

Lediglich karge Dörfer mit uralten Babuschkas die ihre Äpfel und Gurken am Standstreifen der Fernstraße feil bieten, sowie kleine Tankstellen mit überschaubaren Getränkeangebot gibts hier.

Also, Tschuwaschien ist heute dann mal angesagt, eine dieser unbekannten Republicken des Russischen Kontinents…. verlasse somit dann das Russische, historische Kernland und wandere nun in neue, spannende Gebiete.
Hier, ganz weit am östlichen Rand Europas …

Noch 371 Kilometer….

Dann ist KAZAN erreicht, das erste große Zwischenziel.

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Wehmut und Freude zugleich; Weil das Visum ausläuft, endet in Kazan der Weg vorläufig, und muss deshalb extra zurück nach Deutschland. Schön aber: Ich sehe die Familie wieder.

Gestern wars echt aufregend: Erstmal hatte ich mein Handy bei Mc Donalds in Niznij Novgorod vergessen, merkte erst einen Kilometer später das Desaster, stand kurz vor einem Herzinfarkt.
Und überhaupt war ja dieser Durchfall schuld; in heller Panik rannte ich aufs Klo, Portemonaie, Tablet-PC, Ladekabel, Notizheft…. war da nicht noch was?
Der Bauch läuft Amok, weniger wegen dem Fast Food, wohl einfach mal so denke ich und in all der Aufregung vergas ich zum ersten mal das Handy zwischen Pommesresten, und all dem mit Ketschup verklebten Papier.

Eigentlich machte es doch keinen Sinn wieder zurück zu rennen…. das Ding ist weg, ganz klar.
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, – Ich bin in Russland, und siehe da, schnell wurde ich wiedererkannt und ein liebes, junges Paar führte mich zur Bestelltheke, bekam das Ding zurück… ich bin begeistert.

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Anton Krotov (r.) fiel mein Wanderwagen auf, der Landesbekannte Weltenbummler war schon in jeder der 85 Regionen seines Riesenlandes, sowie in 91 Ländern der Welt unterwegs. Jetzt haben wir uns zufällig hier getroffen.

Wobei mich Anton sogar zu sich nach Hause einlud, zog ich erstmal weiter, trotz Regenwetter treibt es mich recht stark wieder ins Freie, was Anton natürlich verstand, zudem liegt es in unserer Natur als Ewig-Reisende uns auf alle Fälle wiederzusehen; vielleicht sogar in Wladiwostok, wo er bald wohnen möchte…

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In Russland ist einfach alles anders als die alten Klischees.... 500 Rubel liegen vor mir im Gras an der Straße, mein vergessenes Handy bekomme ich wieder, ständig sprechen mich Leute an und laden mich ein....
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Ein Foto mit den Fernwanderer: In Kstowo, ca 25 km außerhalb von Niznij Novgorod, sprechen mich die Leute an, wollen alles wissen übers Wanderleben..

Die unbekannte Millionenstadt.

Nischni Novgorod, wer hat das schonmal gehört?

Eine von den 15 Millionenstädten des Riesenlandes welches eben 40% des europäischen Kontinents besitzt, da ist es eben so eine Sache mit all den Orten dieser östlichen Landmassen, so gibt es ja noch Perm, Kazan oder Samara, weitere Metropolen dieser fernen Ferne im Unbekannten.

Ja, unbekannt ist fast schon exotisch; kaum irgendein Tourist aus Westeuropa ist hier zu sehen, Nischni Novgorod, mal so groß wie Köln, hat durchaus was zu zeigen; eine alte Handelsstadt am Zusammenlauf zweier mächtiger Flüsse, die Oka und Wolga, schaut auf 795 Jahre Geschichte zurück, zuerst ganz ehrfürchtig als „Untere Neustadt“ benannt, in namentlicher Abgrenzung zum damals schon längs existenten „Großen – oder bedeutendes Novgorod“, dem mir wohlbekannten Weliki Novgorod, noch recht am Anfang meiner Russlandwanderung.
Also zwei „Neustädte“ gibts in Russland, die eine historisch gewichtiger, die andere viel größer heute; mit 1,3 Mio eine weitläufige, ausgedehnte, aber auch relaxte Metropole die nicht so dermaßen überladen und stressig wirkt, eben lokal und ganz schön Russisch auftritt; wenig international,  von der so touristisch vernetzten Welt recht unentdeckt.

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Zwei volle Tage entspannen hier in Nischni Novgorod ist angesagt.

Meine dünnen Beine betteln nach Entspannung, auch die Füße sehen das ganz ähnlich.
Abgesehen von einigen recht langen Rundgängen in die Innenstadt, verbringe ich die Zeit an meinen Lieblingsorten, den Cafes, einem Mc Donalds, sowie der neuen Hero-Schoppingmall, – bei 35 Grad Sommerhitze stets klimatisiert entschwebe ich in dieser künstlichen Welt dem Full-Time Job Wanderleben ein wenig.

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Noch 15 Kilometer vor Nischni Novgorod ahnte ich garnicht, wie anstrengend die steile Straße dorthin wird...
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Mein Zelt mit Oka-Blick vor der großen Stadt.
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Elend weit zieht sich das Auf und Ab im urbanen Vorland, bei der Affenhitze von 30 Grad schon um neun in der Früh.

Gleich sechs Einladungen flatterten mir in den elektronischen Postkasten über die Zeit, meine Wahl viel auf Sergei, einem 24 Jährigen der sich total für Indien interessiert; ich solle ihm vom Land erzählen, ihm bei der Reiseplanung helfen.
Kein Ding für mich, kenne ich doch Indien wie meinen Wanderwagen in und auswendig.

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Beisammen in der Wohnung von Sergei, nach etlichen kalten Bieren bei all der Sommerhitze, sprechen wir entweder auf Englisch oder gutem Deutsch, was Sergei zu beherrschen weiß.

Eindrücke einer besonnenden Großstadt, in angenehmer Mittelmäßigkeit: Nischni Novgorod, 400 km östlich von Moskau:

Sergei muss – wie fast alle meiner Gastgeber, den ganzen Tag arbeiten. Ich verliere mich unweit vom Wohnhaus in der brandneuen Nebo Shoppingmall, in der es noch frisch gestrichen riecht, und viele Läden noch garnicht eingezogen sind.
Ein Wandel unserer Zeit im Sinne neuer Zentren; einst die Kirchplätze, und die Märkte, sinds heute diese überdachten Superkomplexe wo das komplette, geistige Abschalten durch permanente beriselung einer Glasglänzenden Scheinwelt, gehüllt in Popmusik und flimmernden Supermonitoren, gut funktioniert.

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Ein Wagnis: Die neue Nebo - Mall steht in Konkurrenz zu noch weiteren Superkomlpexen dieser Art in der Stadt. Noch sind 40% der Flächen unvermietet.

03.08.2016.

Endlich ist es kühler: Schweres Gewölk bringt wohltuenden Wind ins schwitzende Gesicht, wobei ich so wenig wie möglich unterwegs sein möchte, öle ich wie ein eingelegter Hering.
Die Zeit verbringen im Kaffehaus, was die günstigen Preise mir (noch) erlauben, tut mir am meisten gut.

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1,20 € umgerechnet für den Espresso, sowie 1,50€ für den Kuchen, sind selbst für mich erschwinglich, allerdings für die meisten Leute hier noch (oder eben jetzt wärend der Wirtschaftskrise) zu teuer. Ansonsten hat sie die Kafeekultur in Russlands Großstädte ganz schön gemacht.
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Treffen mit Dima, einem Rockmusiker der etwas übers Wanderleben erfahren wollte, und schon sein Visum für Westeuropa hat, wo er auf das eine oder andere Konzertangebot hofft.

Bis neun muss ich nun auf Sergei hier in seiner Wohnung warten, Zeit genug um mal hier wieder ordentlich zu bloggen; allein die ganze Bildbearbeitung dauert gut eine Stunde, natürlich gern geschehen, aber uff, manchmal läppert sich da ganz schön was zusammen.
Hier in den kruden Wohnvierteln unweit der Innenstadt, wo ich jetzt so gut untergekommen war.

Morgen ziehe ich dann wieder weiter, nach Osten…. diesmal wieder auf die ganz große Fernstraße, 240 km ohne jede Stadt bis Čeboksary, die Haupstadt der Republik Tschuwaschien…. ja kein Scherz, die heißt wirklich so.

Russicher Sommer auf 100 Kilometer.

Heiß ist es, sowas von heiß hier im tiefsten Russland. Entweder superheiß oder superkalt im Winter, letzteres wohl viel länger, wobei am berühmt berüchtigten russischen Winter jetzt einfach garnicht gedacht werden kann… uff, 35 Grad im Schatten.

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Zum Glück ziehen Wolken auf und die ferne Landschaft der nun neuen Region Niznegorodskaya liegt weit vor mir.
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Grooooße Brücke, sogar etwas zu groß: Eigentlich wollte ich in der Oka baden, doch keine Chance hier irgendwie runter zu kommen ....

Die gewaltige Brücke hinüber in die neue Oblast wird zur Falle; hohe Geländer machen ein übersteigen (vor allem mit dem 40 Kilo Wanderwagen) unmöglich. Unglaubliche 12 km zieht sich das dann als Hochtrasse durch Sumpfland fort, … muss ales so lange laufen bis irgendwann die Leitplanken mich freilassen.

Endlich, links der Straße sehe ich endlich freies Land, wo ich hinlaufen kann. Sandig, trocken und somit frei jeglicher Insektenplage, baue ich das Lager auf.
Was gibts zu erzählen? Ich kann ja mal wieder zeigen wie so ein tagtägliches Zeltlager entsteht, viele Handgriffe die einfach sitzen müssen, Tag für Tag …

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Erstmal einen ebenen Platz finden, dann die Unterleg-Plane ausbreiten, worauf das Zelt vom rauen Boden geschont wird.
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Dann das Zelt aufbauen. Zwei Stangen durch und fertig.
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Ganz wichtig: Die Luftmatratze aufpusten. Das kann schon anstrengen nach einen so langen Wandertag, lohnt aber bei perfekter Gemütlichkeit in nachhinein sehr (!)
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Letztendlich die Wanderleben - Dusche; eine 1,5 Liter Flasche Wasser muss genügen, und alles ist wieder sauber. Zumindest reicht die Reinigung um die völlig verschwitzte Haut wieder glatt und geschmeidig zu kriegen, und man fühlt sich wieder wohl.
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Und dann der verdiente Lohn des langen Wandertages: Ein gutes Bier aus dem Glas (das Glas ich immer mit mir) fließt in den trockenen Hals. Welch eine Wohltat.....

Gut einkaufen lautet die Devise eines zum Abend perfekt ausklingenden Wandertages; ein wahres Buffet an allerlei Köstlichkeiten, – was eben die Regale der Kaufläden so hergeben, breite ich um mich aus.
Wenn dann noch Freund Georg oder Mama aus dem fernen Recklinghausen (über Scype-Telefon) anrufen, ist das Wanderleben ein Traumleben.

So ziehe ich drei Tage durchs Land, die Landschaft ändert sich, es wird hügeliger und somit endlich weitsichtiger; tausend Kilometer hinter mir bestimmte nur noch eine grüne Sichtsperre den Blick links, rechts, nach vorn und hinten … Ewiger Wald und das wohl endloseste Flachland der Welt (Osteuropäische Flachlandebene) ließen mich vergessen wie Berge aussehen … und die kommen jetzt immernoch nicht wirklich; lediglich sanfte Hügelweiten mit Fernsichten auf den Schwellen obendrauf erlauben endlich den ersehnten Horizont im Blick.
Aber auch harte Arbeit, wenn es heißt den Wanderwagen die zwar nicht steilen, aber langen Anstiege hinauf zu ackern.

Und noch etwas Länderkunde, diesmal über die Oblast Nischni Novgorod, die jetzt erreicht ist.
Flächenmäßig etwas größer als Bayern (76.000 Quadratkilometer) und mit 3,27 Mio Bewohner nur ein viertel so bevölkerungsreich, ist die Nizhegorodskaya (auf Russisch) eines der wichtigen Kernregionen des alten, kulturell zentralen Russland.
Endlich erhebt sich hier erhaben das weite Land, meist goldgelb mit seinen Weizenfeldern, auf und ab in einer Hügellandschaft.
Weitsicht auf geschwungendes Feld und Waldland tun nach 1.200 km platten Einerlei des äußeren, russischen Westens, wirklich mal gut.
Nizhegorodskaya wurde, wie die meisten anderen Kernregionen rund um Moskau, den alten Fürstentümern grenzgemäß gestaltet; in seine Mitte hat die Oblast (Region) eine gewaltige Haupstadt, Nizhnij Novgorod (oder Nizhniy Novgorod, zu deutsch: Nischni Novgorod) dem ehemals sowjetischen Gorkij, heute eine große Metropole ist, die ich in Kürze erreiche.
Die Wirtschaft dieses Landes ist um diese große Stadt sehr industriell geprägt, allerdings nur in und um Nischni Novgorod, wärend die so weiten Ländereien drumherum, wie überall im ländlichen Russland, stark mit Abwanderung und Strukturschwäche zu kämpfen haben; selbst die zweitgrößte Stadt der Oblast, Dserschinsk, ein aktuell dramatisches Beispiel postsowjetischer Monostädte, scheitert als einer der größten Chemie Standorte Russlands, an seiner alten Größe; die Stadt schafft heute noch kaum seiner sozialen Dimensionen Herr zu werden; nur wenige der ehemals 300.000 Bewohner können noch heute von der stark modernisierten Chemieindustrie leben, da ändert auch die aktuelle Sozialpolitik des neuen Russlands wenig dran.

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Die Nischni Novgorod Oblast: So groß wie Bayern und sieht optisch auch fast so aus wie der Freistaat; hier wandere ich quer hindurch von West nach Ost.

30.07.2016.

Vorsma (Worsma) eine 11.000 Einwohnerstdt war gestern Treffpunkt mit Tino Künzel, ein Reporter von der Moskauer Deutschen Zeitung, also auch mal ein deutsches Medium was sich für das Wanderleben interessiert.
Ganze vier Stunden verbrachten wir erst im Cafe dann draußen auf der Straße, zur Fotosession.
Tino lebt und arbeitet in Moskau, ist extra zu mir auf den Weg angereist um sich Wanderwagen + Wanderer mal näher anzusehen.
Ich werde dann bald den Bericht auch hier posten, Tino wird ihn mir dann senden.

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Und nun auch bald in der Moskauer Deutschen Zeitung, die sich an Deutsche in Moskau und Russland, sowie an alle Russlandinteressierten in Deutschland richtet. Die Zeitung ist zudem kostenlos.

31.07.2016.

Uff, ich schwitze und stinke entsetzlich, hocke nun in dieser Gazpromtankstelle an der kleinen Kaffebar und ärgere mich erst hier nach langer Suche ein WiFi gefunden zu haben …. somit schaffe ich es erst jetzt dies alles hier zu posten, veröffentlichen.
Vier Tage auf der Straße von Murom nach N.Novgorod…. vier Tage kein Internet, oh wie schlimm…

Heute erreiche ich die Millionenstadt immer noch nicht, zumindest mag ich keine 35 km gehen und lieber noch versuchen zum Nachmittag in der nahen Oka zu baden. Mal sehen ob’s diesmal klappt.
Für morgen dann bin ich mit Sergej in der großen Stadt verabredet, wo ich ganze drei Tage bleiben will.

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In der 34.000 Einwohnerstadt Bogorodsk (ca 20 km vor Nischni Novgorod) finde ich einfach kein Lokal mit WiFi.