„Freileben“ hier und da …

12.Dezember 2017 – Playa del Ingles, Gran Kanaria.

Mal in den Bergen, mal im Schutze der Sanddünen von Maspalomas, oder wie so oft in Tonys Hinterhof, steht mein Haus, mein Zelt.

Fast 4000 km entfernt tobt Schneechaos, die liebe Heimat immer warm im Herzen, ist jetzt im tiefsten Winter weit genug entfernt.
Hier auf meiner kleinen Berginsel kühlt es nächtens schon auf unter 10 Grad ab, da wo das Land hoch in den klaren Himmel ragt, was hier zu 80% der Flächen gilt.
Hier unten im äußersten Süden der südlichsten Region Spaniens, bleibt es viel wärmer weil flaches Land entlang des Meeres den Grund und Boden dieser wohl kuriosesten Mini-Metropole bildet.

Maspalomas, Playa del Ingles, Meloneras, San Fernando oder insgesamt: San Bartolomé de Tirajana, heißt der Platz meiner Winterträume momentan.
Nur hier komme ich über die Runden, kenne genug Leute innerhalb dieser Subkultur unter’m Regenbogen; Maspalomas/Playa del Ingles ist DER Hotspot schwuler Urlauber überhaupt –  weltweit.
Eine Gruppe/Klasse/Kultur mittlerweile so stark vertreten in sich wiederum geteilt, gespalten, gegliedert eine wahre Vielfalt in der „Homo“genität überrascht; wie alle sozialen Gruppen oder Religionen bilden sich bei einer gewissen Größe ganze Konfessionen. Dazu später mehr..

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Aufwachen unter freien Himmel, ohne Zelt weil über mir das Himmelszelt... hier ganz weit drinnen in den einsamen Bergen der Atlantik-Insel.

Als Espresso Trinker hält sich auch der kleine Luxus in Grenzen. Spanischer Kaffee ist überall billig, in kleinen Gläsern für einen Euro zu haben.
Ebenso kleine Bierfläschchen zum gleichen Preis, dazu ein Tapa und ein Gefühl von „ich gehöre dazu“ ist komplett.

Dazugehören: Ein essentieller Grundstoff unseres Daseins, wo der eine sich gern absondert um woanders zugehörig irgendwo Identität findet, der andere sich aktiv ein oder unterordnet, und das zu erkennen gibt.
In meinem Fall als exotischer Aussteiger schnell identifiziert, bin ich oft jenseits von gut und böse … eher gut, wenn auch auch erstmal einfach anders irgendwie in die Schublade verortet.
Hauptsache sauber, das Haar gestutzt, gern rasiert und keinen Schmutz unter den Fingernägeln, dann passt der erste Eindruck schon ganz gut.
Die Klamotten dürfen mal etwas abgewetzt aussehen, aber nicht stinken.
Sowas will ich ja selber nicht, und erst recht die Schwestern vom Regenbogen (schwule Bürger) freuen sich zurückhaltend, aber nachhaltig über den Helden aus den vermeintlich eigenen Reihen, der endlich mal strammen Auftretens aus der Wildnis kommend, den Heteros zeigt, “ wir können auch“ – ohne lockere Handgelenke ganz Kerl von da Draußen aus den Bergen… wobei in der Szene die heftigen Bartmänner in Leder oder Uniform schon optisch die Spaltung von Tunte und Männerkult andeutet, dass es nur um Optik geht.
Der schwule Holzfäller, Baumaschienenführer oder Berufsboxer existiert zwar, bleibt real praktisch im Verborgenen, wärend seine Optik gern und nahezu perfekt von jenen Schwestern simuliert erscheint, die irgendwo doch ein Mannsbild im Komperativ suchen.
Das geht auch. Die Akzeptanz den „Bären“ als solchen wahrzunehmen ist naturgemacht; der 125 kg-Mann mit Vollbart ist schließlich eine reale Erscheinung die in der Szene legitime Vergleiche zum Tierreich zulassen. Wenn auch nur – und gottseidank, in optischer Hinsicht.

Ja und wo bin ich da?
Wie gesagt, der ganz Besondere. Der immer Draußen schläft, aber dennoch so gepflegt aussieht.
Das passt, und verleit mir sozusagen eine gewisse Exklusivität von der ich warhaftig leben kann.
Ungefähr 80% der Gelder die man(n) mir spendet, sind schwules Geld … also solidaritäts Bekundungen aus der „Community“ aus eben dieser Gesellschaft die auch sowas wie ihre eigenen Helden haben will.
Held sein ist ja einfach heutzutage in der Wohlfühlgesellschaft; einfach Draußen schlafen, keine Wohnung brauchen, ein „total frei & unabhängig“ vorführen. Keine Abhängigkeiten.
Jedoch ein Teil bleiben, Teil dieser Gesellschaften die wir alle vereint im System sind; das große Ganze nicht ausnutzen (man könnte ja klug die Sozialhilfe austricksen) – so zahle ich zumindest meine Krankenkasse jeden Monat selbst (177€)
Rente geht nicht, die hätte ich als Handwerker auch mit 40 Jahren Gewerbsarbeit nicht höher als Grundniveau schaffen können.
Bleibt noch die Mehrwertsteuer die ich durch meinen online Job ( als Geo-Statistiker ) sowie der Geldspenden inspirierter Leute, hinzusteuern kann.
Nicht zuletzt, mein Beitrag zur Systemkritik. Dem anderen Lebensweg, der Alternative, was in gelebter Form auf den durchschnittlichen Leistungsträger (…) oft belebend wirkt, wenn auch kaum infizierend: „Was wäre wenn alle so leben würden wie Du?“ Fragt es sich nicht selten.
Klar, ich kann antworten wie jeder andere: Wäre ich Arzt, ist es nicht viel anders. Stell Dir vor alle würden Arzt werden… dann bräche dieses System genau so zusammen als wären alle im Freileben/Wanderleben.
Und Steuern? Die zu zahlen macht Sinn, aber auch nur wenn des Einkommen mittelmäßig hoch ist. 65% des gesamt Steueraufkommens (in Deutschland) kommen von den oberen 10% der Gesellschaft, wobei die noch nicht einmal gleich viel zahlen als jene unteren Mittelständler mit Einkommen von 2100 bis 3100€ Bruttolohn/Monat.
120 Millarden Euro werden pro Jahr noch fröhlich hinterzogen von der Oberschicht, wärend 850 Milliarden Schattenwirtschaft für den Fliesenleger, Gärtner, Dachdecker oder Gastronom, offenbar unabwendbar erscheinen in Anbetracht seiner Steuerlast im Kleinen; meine eigene Familie stand so oft kurz vor der totalpleite, weil das Finanzamt aus ihren kleinen Staubsaugerladen in Recklinghausen Süd, das rauspressen versuchte, was bei den ganz Großen nicht zu holen ist. Die können sich ja wehren.
Ich hingegen denke mit dem Freileben kein wirklicher Verlust für das System zu sein. Zumindest bekomme ich aus der Wirtschaft keinerlei Zeichen dass sie mich echt braucht; bekomme kein Angebot von einem fairen Verhältnis in geben und nehmen, auch wenn es z.B. als Altenpfleger schon anders ist. Doch gerade diesen Job kann und will ich nicht machen.

Fragen um Fragen die mir hier auf Gran Kanaria als auch in Deutschland gestellt werden. Erfreulicherweise nie mit negativen Ausgang, so heißt es „Du machst es richtig“ – „hast noch was vom Leben“.

Alles möglich auch nur mit Helfer wie Tony, der mich ständig und so lang wie ich will in seinem Hinterhof zelten lässt. Anschluss ans Haus inklusive, Internet (WiFi) Klo, Dusche und einmal die Woche eine prallgefüllte Waschmaschiene stehen bereit. Tonys Gäste (er vermietet seine Zimmer) erfreuen sich über den Gast im Zelt.
Weitere gute Seelen „sorgen“ für Sicherheiten, laden mich in ihrer Arpartmens ein, da es Draußen doch viel zu gefährlich sei…. ich kann nicht überall auf den Sofas schlafen.
Will mein eigenes Ding machen, will frei sein.
In meinem Zelt.

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Jochen (41) aus Berlin nimmt mich mit auf eine Bergwanderung mit Blick auf Teneriffa, der größeren Nachbarinsel. Jochen fährt ein Mietauto und freut sich über meine Wander-Gesellschaft.
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Ganz allein am abgelegensten Strand von Gran Kanaria hoffe ich auf Touristen die mich wieder hier mitnehmen. Drei Stunden später erst, trampe ich mit Holländern zurück ins Inselinnere.
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Die gute Seele Tony bringt mich weit raus in die Einsamkeit.... wo ich ein paar Tage bleiben will. Wie ich hier wieder wegkomme, weiß ich aber noch nicht.. genug Proviant (Wasser, Bier, Essen) ist aber dabei.
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Oben in den Bergen über den fesligen Strand suche ich nach geeignete Stellen fürs Zelt in der Nacht. Klettere anstrengend durch Kakteen-Felsen Landschaften.

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