17.08.2016, Tschuwaschien, kurz vor der Grenze zur Republik Tatarstan, 30 Grad, Sonnig.
Hey, und noch mal ein WiFi hier in der Pampa… laufe und laufe durch endlos weite Landschaften als wolle ich es noch vor dem 27.08. bis Wladiwostok schaffen…
Ob all der (kleine) Medienrummel vielleicht doch noch ein Wunder vollbringt? Ich im Lande bleiben darf um es in voller Länge zu durchqueren?
Zeit all die Kilometer zum Träumen jedenfalls hab ich genug, uff, setze mich erstmal auf den Bordstein und trinke gierig den eiskalten Energydrink für 105 Rubel, hier irgendwo kurz vor der Tatarischen Grenze.
Träume; …. noch bin ich hier im ewig weiten Land, der Wind ist noch so warm. Die Sehnsucht nach Hause im Minutentakt, doch der Kampfgeist, diese unbändige Lust auf den Horizont lässt mich an Wunder glauben, auch wenn ich fast komplett pleite bin, alles so unmöglich erscheint…. Kazan; die große Zwischnstation wirds zeigen.
Ja, jaaa… wieder eine Mail gerade gelesen: Fernsehreporter aus Moskau wollen mich treffen…. und ein Journalist aus Kazan hat auch schon angefragt. Fehlt ja nur noch der Präsident, …ja wie heißt denn der noch…?
… Ja, das erste Ziel ist tatsächlich bald erreicht: Noch 100 km bis zur Metropole Kazan, wo meine gemalten Striche auf der Landkarte aufhören, wo eben das Visum endet…
Fast geschafft, welch bangen und hoffen all die fernen Kilometer zurück, ob ich es überhaupt soweit schaffe; insgesamt 1080 € an Spenden machten den Lauf seit Tallin (Estland) überhaupt möglich, über drei Monate ist das jetzt her, gut 2000 km .
Jetzt bin ich erstmal in einer Oase auf der öden Fernstraße, dieser Irbis Raststätte wo es endlich Internet (WiFi) gibt, für 2,20€ ein deftiges Frühstück (Plov-Reis mit dicker Frikadelle, & Softdrink) verputze. Hier irgendwo im Nirgendwo zwischen Cheboksary und Kazan.
Cheboksary, diese in unseren Breiten ja nun völlig unbekannte Großstadt, verließ ich erstmal mit einer Reifenpanne, platt und ohne Flickzeug stand ich wirkloch blöd da; das Russische Reifenflickzeug taugte leider nicht die Bohne; die Klebe hielt nicht im geringsten.
Oh Glück, zwei Autowerkstätte später, wurde mir eine schummerige Garage gewiesen, in der wohl ein Reifenhändler und Reperateur zu finden sei.
Der hatte sogar ganz zufällig den selben dünnen Schlauch gleich neben der Werbank hängen…. Zufälle gibts… reparierte den alten noch. Ängstlich aber auch dankbar zückte ich die Börse, … was mochte das nun kosten? Konnte sie aber gleich wieder einstecken; der Wanderwagen wirkt manchmal kleine Wunder, und brauche nichts bezahlen.
Jaja, so heldenhaft mein Tun durch dieses kontinental große Land zu spazieren, so verletzlich ist allerdings auch alles; hätte mich der Platten auf endlos weiter Fernstraße getroffen, was währe dann?
Besser nicht weiter überlegen und einfach staunen über all die Leute die mich um ein Selfie (Foto) bitten, schließlich bin ich offenbar eine kleine Berühmtheit im Land geworden. Dank der letzten Interviews kursiere ich im Internet und dem einen oder anderen Fernsehbericht durch die Medien….
Ich esse wie ein Staubsauger, verschlinge all die Einkäufe von Cheboksary und stehe zum Tagesende, 33 km fast ohne alles da. Unmöglich jetzt einfach das Zeltlager aufzubauen, auch wenn links und rechts eine offene Traumlandschaft mit weiten Wiesen und einladenen Pinien locken; wieder hungrig muss ich also bis zur nächsten Stadt traben, Ziwilsk, eine 13.000 Einwohnerstadt mit mal so gar keinem sehenswerten Inhalt, lediglich ein Monument inmitten des zentralen Kreisverkehres versucht sowas wie eine örtliche Identität zu stiften.
Eine goldglänzende Neubau-Kirche steht ganz weit draußen am Ortsrand.
Die allerletzten 5000 Rubel ziehe ich mir heute an diesem 16 August vom Automaten in Ziwilsk, wo ich nun zum erneuten Einkauf von Proviant kurz zurückkehre, dort vergeblich noch ein Lokal mit WiFi suche. Hier gibts einfach garnichts… und bin froh für den Tag die Speicher nun gefüllt zu haben.
Schwer beladen (5 Liter Wasser) holpert der Wanderwagen über die Schlaglöcher in Richtung Ferne.
Die Telefonate mit Georg und Mama werden zum einen feierlicher, da ich bald nach Hause komme, zum anderen angespannter, da ich für die letzten zwei Wochen nur noch 65 Euro habe.
Mama hat kein Geld, und Georg hat schon mehr als genug gespendet, jetzt hoffe ich noch auf ein bischen Glück für’s Spendenkonto, eben für die letzte Zeit in Kazan. Der Heimflug ist fast bezahlt, es fehlt noch der Wanderwagen als Extra-Gepäck, was locker mal 50 € kostet, denn der muss mit, weil viele Reperaturen anstehen, sowie ich ihn unbedingt brauche für meine Vorträge übers Fernwandern, um für die baldige Fortsetzung zu verdienen.
Unglaublich: Wieder hält ein Auto und zwei junge Männer stürmen über den Asphalt zu mir; ein Foto wollen die, versuchen irgendwas auf Englisch zu sagen und sind schnell wieder weg.
Unwirklich finde ich mich im Trott meiner Einsamkeit, vertieft in all den Gedanken wieder… bis wieder jemand hupt und winkt, den Daumen zeigt…
Irgendwie freue ich mich total über die kleine Unterbrechung, sehe bald die Familie wieder… anderseits könnte und würde ich einfach weiterlaufen, ja bis Wladiwostok…. gewöhnt habe ich mich so sehr ans Land, doch wo kein Visum da kein Weg mehr…. und so knapp wie jetzt war auch mein Geld noch nie.
Heute: 17.08.2016, ca 30 km weiterwandern ohne irgendwelche größeren Orte. Lediglich das Dorf Emetkino lässt mich auf einen Laden hoffen um dort Brot und Trank zu finden.
Zum Tagesende will ich die Grenze zur nächsten Republik erreichen; Tatarstan, das Reich der Tataren erwartet mich dann…
… Erst exotische Millionenstädte, und nun ganze Republiken, ja Länder die sich hier in den unendlichen Weiten des Russischen „Kontinents“ finden.
Ja, natürlich aus der Deutschen Perspektive, wenngleich hier in Russland natürlich jeder die Republik Tschuwaschien kennt, besonders wer selbst zu den 1,23 Mio Einwohnern dieses Landes gehört, oder zumindest aus dem Schulunterricht. Überhaupt kennen die Russen sich in ihrem Riesenland recht gut aus, ein Resultat einer effizienten Heimatkunde seit Schulzeiten.
Einerseits ein Punkt auf der Landkarte, doch nun mal ein echter Staat im Staat; Tschuwaschien, eine der 22 Repubiken (!) im Land bildet nun den Übergang im Wanderleben vom Altrussischen Kernland in die weiteren Gebiete anderer Völker, die vor zwei, drei Jarhunderten im Zuge der östlichen Expansion des Russischen Zarenreiches, stattfanden.
Erstmals staune ich im Weitblick übers Land; auf und ab zog sich der Übergang von der Altrussischen Nischni Novgorod Oblast hinüber nach Tschuwaschien mit fantastischen Fernsichten:
Oh Gott, welch ein weites Land…. Tschuwaschien, Nischni Novgorod Oblast, sowie die Republik Mari El am Horizont rechts, vereint zur Russischen Welt in all ihrer Weite ….
Grün, saftig und so lebendig; jeder Meter dicht bewachsen voller Leben. Mein weites Russland im Duft seines so warmen Sommers, voller Erhabenheit bis (warhaftig) zum Ende der Welt.
Welcher der 127.000 Flüsse mag das sein? Ich hab es vergessen, aber werde wohl diesen Moment zur kleinen Pause am Geländer mit Flussblick niemals vergessen.
Der Wanderwagen in Sichtweite und alles ist gut; futtern (Plov-Reis mit Hühnchen) in der Raststätte für nur 2,70€ um die nächsten Kilometer zu schaffen.
Irgendwie wie ein Grenzübergang; von der großen Nischni Novgorod Oblast in die Republik Tschuwaschien. Mitten im tiefsten Russland aber.
Die erste Nacht auf Tschuwaschischem Boden steht bevor, hier auf dem Acker, weit genug von der lauten Straße entfernt.
Im Straßendorf Yungaposi gibts erstmal für kleines Geld einen Kaffee + WiFi Internet (rechts im blauen Haus) als wilkommende Pause zwischen all den endlosen Kilometern.
Und immer wieder Landschaften ohne Ende.
Traum – Ausblick vom Zelt auf die Felder Tschuwaschiens, bei 25 Grad am Sommerabend.
Selbstverständlich habe ich kürzlich kaltes Bier vom letzten Laden an der Straße dabei und feiere den Abend nach deftigen 35 Kilometern Fußmarsch verdient.
Und natürlich gibts in der versteckten Republik auch eine Haupstadt: Cheboksary, die ich Donnerstags am 11 August bei 30 Grad Sommersonne verschwitzt erreiche, aber freudig die Nachricht empfange dass Adner Yegorov, mich dazu einlädt ins Filippov Hostel zu nächtigen.
Digital hatte ich mich schon verabredet mit jemanden zum Couchsurfen, entscheide mich aber letztendlich für den Blogger, Journalisten, Historiker und Netzwerker Adnan, eine Waschechten Tschuwaschen, wortwörtlich.
Der hat auch gleich ordentlich Puplikum aufgefahren um den müden Wandersmann gebührend zu würdigen; ca 10 Studenten quer aller Fakultäten versammeln sich im rustikalen Bierlokal ganz nahe dem Hostel um mich.
Das Bierlokal steht ganz im Zeichen dafür, dass sich Cheboksary als Bierhauptstadt von ganz Russland rühmt, ein Biermuseum gleich nebenan will ich noch besuchen die Tage, Zeit nehme ich mir hier an diesem Ort gern, denn am 27.08 geht ja wieder der Rückflug des Visums wegen in die Haimat, und bis Kazan, dem großen Zwischenziel ist’s nicht mehr so ganz weit.
Die noch historisch jüngere Stadt Cheboksary, soeben 500 Jahre alt liegt direkt an der Wolga, wächst allerdings noch immer und hat seinen Höchststand warscheinlich noch nicht erreicht; 472.000 Menschen sind hier Zuhause, was zudem deutlich das neue Wahrzeichen „Mother Patroness Monument“ – ich nenne es „Mama Tschuwasch“ – zeigen soll, ein Symbol des „Zuhause sein“ in Erinnerung daran wo man herkommt.
Tschuwaschien: Eine kleine, charmante Entdeckung hier ganz weit am unbekannten, östlichen Rand Europas liegt zusammen mit den anderen Republiken „Mari El“ und „Tatarstan“ ( dem Tataren-Land ) an der großen Wolga, die hier teils so breit aufgestaut ist, dass der Blick nicht hinüber gelangt.
Die übersichtliche Innenstadt Cheboksarys reicht gut und gern für einen Tagesaufenthalt. Es ist billig hier, der Espresso für 1 €, der halbe Liter gutes Bier vom Fass für 80 Rubel (1,10€) sowie ein Essen für 350 Rubel (5€) sind überschaubar.
Mir fällt auf, dass Cheboksary ein jüngeres, vitaleres Stadtbild hat als ähnliche Städte dieser Größe; Neubauten, sowie Rohbauten (wegen der Wirtschaftskriese) im Baustopp, prägen das Bild.
Schlimm aber: Immer mehr junge Leute verlassen (wie überall in Russland) ihre Dörfer um nach Cheboksary zu ziehen. Noch schlimmer: Mir erzählen nicht wenige, dass sie sogar ganz fortziehen wollen, – selbstverständlich nach Moskau.
Wieder finde ich mich im Getümmel einer „Press Conference“ wieder, diesmal im Schatten des Mother Monuments im Herzen Cheboksarys. Reporter, Studenten und sogar die Polizei – vorgefahren im nostalgischen Lada der 70er Jahre, klebt mir demonstrativ Reflektoren an den Wanderwagen.
Das hat’s auch noch nicht gegeben: Mit der Polizei im Rampenlicht, inclusive alten Dienstlada nebst Wanderwagen. Blogger Albert (l.) auch dabei.
Fragen & Antworten beim Pressetermin morgens um 10 am Mama-Denkmal. Auch der Wanderwagen muss aus dem Hostel mitgenommen werden.
Keine Ahnung wer welche Zeitung oder welchen Internet Blog bedient. Ich antworte und erzähle, erzähle und berichte vom Wanderleben….
Den Wanderwagen (demonstrativ) verkehrsicher machen. Dürfte bei den noch anstehenden 8.500 km bis Wladivostok auch ganz nötig sein.
Da passt auch noch ein Reflektor hin; nun ist der Wanderwagen wirklich verkehrsicher!
Mit dabei: Die junge Bildungs-Elite, auch interessiert an so unkonventionelle Erscheinungen wie Wanderer auf dem Weg um die Welt.
Marina übersetzt von Deutsch ins Russische. Die stolze Tschuwaschin spricht nahezu perfekt Deutsch.
Das Filippov Hostel beherbergt mich gratis, ein vorbildlich, top geführtes Haus mit fantastischen Duschräumen, großzügig in Marmor und wenig belegten Mehrbettzimmern, WiFi, und eben kaum internationales Publikum, da Cheboksary einfach kaum bekannt ist in den restlichen (westlichen) Breiten Europas.
Erstmal gibts viel zu tun: Wäsche waschen, trocknen, Duschen, und, und, und…. Nach acht Tagen draußen auf Wanderschaft stinkt nahezu jedes einzelne Kleidungsstück.
Begrüßung mit Gastgeber und Gönner Adnar (rechts) sowie Kollege Andre mit Nachwuchs im Filippo Hostel mitten in Cheboksary.
„Will ich auch mal machen, wenn ich groß bin“ – um die Welt spazieren.
Und so schlage ich mich mit den letzten Resten an Rubeln durch die Stadt, überlege hin und her wie es noch die nächsten drei Wochen weitergeht bis zum Heimflug (der ist bereits bezahlt) und hoffe weiterhin auf Kilometer-Spenden. Mein Spendenkonto findet sich unter „Kontakt“ hier auf der Website.
Cheboksary, Tschuwaschien, Wolga, Nina, und ständig Sommerwetter; eine schöne Zeit in einer spannenden, freundlichen Großstadt …. so fern, aber immernoch in Europa…
Natürlich hat die Republik Tschuwaschien auch eine eigene Flagge.
Ausblicke auf die Stadt Cheboksary, sowie einer schönen Zeit nach langer, langer Wanderung…
Das Zentrum von Cheboksary im späten Licht des Nachmittags.
Weiter rechts zur Wolga hin steht das Monument der Mutter.
Stadteindrücke am Nachmittag in Cheboksary.
Nina die gute Fee von Cheboksary, erklärt mir ihre Heimat.
„Zuhause“ – welch ein schönes Monument; die Mutter Tschuwaschiens, erst vor wenigen Jahren erbaut am Wolgahafen in Cheboksary.
Mama hält die Arme offen, denn hier ist eure Heimat. Das rührt mich sehr.
Nahe der Innenstadt ist in Cheboksary noch genug Platz zum bauen. Wie wärs mit einer riesigen Shoppingmall hier? Wer hat mal ein paar Millionen zum investieren?
Neue Wohnungen brauchen die Städte auch in Russland. Nach 60 Jahren verfallen die Plattenbauten draußen in den Randbezirken immer dramatischer.
Stadbild östlich der Innenstadt mit neuen, modernen Wohnhochhäusern.
Der Platz der Republik mit der staatlich, tschuwaschischen Akademie der Landwirtschaft. – Müsste eigentlich „Parkplatz der Republik“ heißen, da hier eher alles für Autos und Busse ausgelegt erscheint.
Jede Stadt ihren Lenin. So auch hier in Cheboksary am Platz der Republik.
Natürlich hat die Republik Tschuwaschien auch einen eigenen Regierungspalast, gleich hinter dem Leninpark in bekannter sozialistischer Pracht.
Umzingelt von 14 Jährigen in der Fußgängerzone von Cheboksary kurz nach dem Journalisten/Blogger Meeting; den Digital Natives entgeht heute nichts und wurde schnell erkannt.
Morgen (Samstag) mache ich sogar einen Ausflug: Rüber nach „Mari El“ will ich. … 92 Kilometer Busfahrt in dessen Haupstadt Joskar Ola sind dann angesagt und bleibe eine Nacht dort.
Vielleicht bin ich da privat eingeladen; die Kontakte über Facebook laufen heiß, und wer weiß was alles kommt.
Sonntag bleibe ich dann noch in Cheboksary, Adnar mag mich noch länger hier halten. Was er wohl vor hat?
Montag dann mache ich mich auf den Weg nach Kazan, vorläufig die letzten Kilometer durch dieses großartige Land….