Training für Russland…

Eiskälte ist dann der Preis für die ausnahmsweise regenfreie, klare Nacht; minus fünf, minus acht…. lese ich nächtens während ich mindestens fünfmal aufwache.

Irgendwo zieht es immer am Leib; mal am Knie, mal die Lenden, mal sind es die Schultern die eisgekühlt nach mehr Wärme rufen.

Klappt aber, die Schlafsäcke tune ich noch mit Pullovern und packe die Jacke noch hinein, bin ja nur 62 kg, da ist noch Platz unter den Decken und es wird tatsächlich kuschelig.

Am nächsten Tag haftet sogar Eis am Schlafsack, da wo mein Atem ihn anfeuchtet. Eis überall; erst feucht noch von den plädderigen Vortagen, fror das Zelt nun komplett ein. Raureif überall; schwer zieht sich auch der Reißverschluss. Hab Angst den kaputt zu machen, so stark muss ich ziehen…. 
Zwölf Stunden Nacht: Das macht durstig. Aber Bullshit, ich hatte vergessen das Wasser mit ins Zelt unterm Schlafsack zu packen; jetzt ist es komplett gefrohren, ein wahrer Eisblock in der Pulle.

Aber ausgeschlafen und etwas gesättigt von steinharter Schokolade macht die Aussicht auf ein Ende des ewigen Grau, des ständigen Regenterrors, alles wieder wett.

(Bilder: Gemütlichkeit im Frost. Trinkwasser wird zum Eisblock)

Nicht aufgeben.

Heißt es als ich am liebsten mit vollen Bauch hier und jetzt in der „Kavine“ zusammensacke und einfach für immer bleiben will.

Doch der Weg ruft, besser gesagt die Straße mit ihren pampigen Sand-Seitenstreifen der wohl für die nächsten zig Kilometer  angesagt ist….

Kaum auszuhalten der stramme Seitenwind, zusätzlich noch voller Schnee der aber sofort taut wenn er auf die Jacke kommt. Regenjacke wieder an, und das laute geflatter im Sturm mindestens noch 10 Kilometer ertragen. Ich muss wenigstens etwas weiterkommen.

Läppische sechs Kilometer schaffe ich dann… und kehre platt und matt in den Sichtschutz hinten auf der Weide, bestehend aus lockeren Strauchwerk ein.

Jaaa? Die Sonne kommt? Scheine ich wohl zu träumen ?!

Das Zelt steht, ca 100 Meter abseits der recht ruhigen Straße… und überhaupt ist es hier ruhig; Litauen ist anders als noch in Polen, ganz anders; es ist viel leerer, viel entspannter als noch in den polnischen Provinzen, wo seelenlose Streudörfer, ohne Kern, ohne sichtbaren Zusammenhang das ganze, große Land mit Häuser zupflastern.

Und überhaupt: Hier in Litauen sind die Häuser auch viel einfacher, wohl so wie in Polen noch vor zwei Jahrzehnten…. schlicht und klein. Ja vielleicht auch etwas ärmlich.

Deftig & billig…

Tolle Entdeckung: Wie eine Fata Morgana in der Verlorenheit des Schneesturms, sehe ich eine „Kavine“, sowas wie Kantine…. kehre instinktiv ein um eigentlich nur irgendwo im Warmen zu landen.

Volltreffer: Hier gibts echt gut Futter wie bei Mutter auf dem Tisch; dicke Schnitzel, Suppe (roter Boretsch) und ein kelbriges Süßgetränk alles zusammen für 3,20 €.

Das tut gut, wie ein Staubsauger vertilge ich jede Portion…. und ahne dass es eine gute Zeit hier in Litauen sein wird; nicht wirklich teurer als im Supermarkt ist es hier, alles in Euro, kein Wechsel, kein Umrechnen.

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27 Jahre später ….

Spaziere ich einfach über diese Grenze, damals bis 1989 noch das schwer zu passierende Tor zum finsteren Riesenreich Sowjetunion. Heute einfach nur grüne Grenze innerhal der ach so verteufelten europäischen Idee…. jaja, mann kanns keinem Recht machen, oder hattetst Du nicht Daheim die AFD gewählt ?

Wieder tut es so gut einen ehemals so brisanten Ort einfach so zu durchlaufen….  der auch heute ansonsten kaum irgendwie historisch pompös aufgemacht wirkt.

Also rollt der Wanderwagen jetzt auf GUS Territorium; Der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ nach dem Zerfall des Super-Riesen-Reichs der Sowjets.
Ich krieg mich garnicht ein; über 22 Millionen Quadratkilometer waren damals von hier bis Japan, bis vor Alaska (Nordamerika) oder China – oder Afghanistan im Süden dieses Mega Land groß.
Ein fettes Gegengewicht zu Amerika und alles was westliche Welt war. Jetzt, einfach weg…. Geschichte, … und ein kleiner Wanderwagen mit ebenfalls kleinem Wanderer dabbei, der obendrauf auch noch siegen will: Über  all die Weiten dieser Ländereien die erhaben jetzt GUS heißen, selbstständig sind und z.B. wie Litauen, Lettland und Estland ein Teil des Weltwanderweges darstellen, der für die kommenden Monate angesagt ist.

Litauen, das erste Land liegt vor mir … ca 400 km sind hier wanderteschnisch geplant, ein Land fast so groß wie Bayern (65.000 Quadrat-km) und mit 2,88 Mio Einwohnern viel dünner besiedelt.

Naja, und Palemn wachsen hier wohl auch nicht … ein strammer Wind pustet mir scharf ins Gesicht, Schnee fliegt zusätlich um die kalten Ohren.

Flucht in die Touristen-Info hinter der Grenze ist angesagt, und erstmal für 3,50 € eine genaue Landkarte beschaffen. Dann verquatsche ich mich noch mit dieser so jungen Frau die mein Wanderleben so toll findet, bald nach London ziehen will und später weiter in die USA, erzählt sie mir…. Wanderleben, Auswandern, weg sein…. das ist schon recht litauisch sagt sie noch etwas resigniert.
„A Country without Future“ … Land ohne Zukunft (?) …. ich wundere mich: Die erste Touristen Info, wo man mir sagt: Ich betrete ein Land ohne Zukunft ….

Ok, das war schon persönlich und kein offizielles Programm.
Aber dazu später mehr… zuerst will ich selbst ins Land eintreten „ohne Zukunft“ … und schauen was ich finde, ob das Mädchen recht hat …

Der letzte Tag in der polnischen Welt …

Sejny ( 5.600 Einwohner )

Jaja, Sejny heißt das Kaff im hintersten Eck im Lande was ich morgen verlassen werde.

870 Kilometer bin ich dann durch fünf Regionen in Polen gewandert, in insgesamt drei Monaten Laufzeit.

Meine letzten Zlotys leere ich auf dem Tresen im Restaurant des Skarpa Hotels in Sejny, schütte einen Haufen Groszys aus, leiste mir noch einen deftigen Schnitzelteller. Warm muss es sein, die kalten Finger, die dauerkalte Nase…. alles sehnt sich einfach mal nach warmer Raumluft.

Eine Cola geht noch, der Rest ist Trinkgeld…

Gleich ziehe ich noch einige Kilometer hinaus, würde am liebsten aber hier bleiben, einfach ein Zimmer nehmen für 15 € und Wärme tanken.

Aber so viel hab ich dann doch nicht zu verprassen…. gut hüte ich die weingen Euro Noten in der Börse, die brauche ich bald wieder drüben in Litauen.

Aber eine Nacht bleib ich noch polnisch, drüben in den Sümpfen suche ich mir ein Plätzchen für mein Zelt..

(Bilder: Die Kleinstadt Sejny und Umgebung. Barock-Basillika mit Kloster bei kurzem Sonnenschein)

Hallo Frühling…. gibt es Dich da Draußen…?

Och mann, ich verirre mich in den Feldwegen vom Nova Wies hinaus und zurück zur Landstraße nach Litauen…. Schneetreiben und fieser Wind machen die Sache nicht besser…. völlig verpeilt komme ich irgendwo in falsche Richtung in der Randzone von Suwalki raus.

Die letzten 40 Kilometer in Polen hätten da schon etwas schöner sein können, rette mich bei starken Schneefall (kann kaum die Augen offen halten) in ein gewaltigen Hotel – Blockhauskompley am Rande der trostlosen Straße; im Sommer ist hier der Deibel los, viele Touristen kommen wegen der Seenlandschaft hierher, aber jetzt bin ich allein auf weiter Flur, kann endlich WiFi nutzen (bei Jan kam ich nicht dazu, Honigwein und politische Debatten brauchten jede Zeit)

Draußen tobt Schneechaos, und jetzt an diesem Sonntag den 20 März stelle ich fest, dass all meine Mails die kürzlich an Sponsoren und gute Freunde des Wanderlebens ins Leere liefen……………  eine deftige Klatsche für die Planung der nächsten Monate; Kraft, Lust, ein dickes Visum für Russland und eine perfekte Ausrüstung im Wanderwagen stehen einem immer gnadenloser, leerer werdenen Portemonaie gegenüber….

Gleich muss ich wieder einkaufen, wieder verlangt der Bauch Unmengen an Nahrung….

Die kann ich noch gut einen Monat bezahlen, danach muss ein Wunder passieren…

Weiterer Wegverlauf: Noch 40 km bis zur Grenze nach Litauen, dann einige Tagesmärsche zur Hauptstadt Vilnius, weiter nach Kaunas bis hach nach Riga (Lettland).

Danke Jakub, fürs Couchsurfen.

Sieben Kilometer raus aus Suwalki und ich hab ein Bett.

In Nova Wies, einer der kernolsen Streudörfer, einst mit dem Auto gewachsene, lose Siedlungen die nahezu ein Dittel der gesamten polnischen Landesfläche diffus zersiedeln, ist mein Heim für heute Nacht.

Jakub ist 19, allerdings sehr wach und im perfekten Englisch ein anspruchsvoller Gesprächspartner. Sein Papa kann sogar Deutsch, hat einige Jahre dort als Handwerker verbracht und sorgt wieder für eine reiche Kalorienzufuhr; Hackbällchen mit roter Beete und Reis.

Gewöhnt mit der Dämmerung um sechs Abends schon in die Haia zu versinken, schaffe ich bis halb Zehn meine Gastgeber zu unterhalten.
Zum Abschied verspreche ich Jakub, dass wir und irgendwann mal in Donnegal wiedersehen…. seinem Traum im verlassenen Norden Irlands, wo er mal gern leben würde. Doch erst gehts mal in die Hauptstadt mit ihm zum studieren. An Warschau kommt erst mal kein Pole vorbei …

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Suwalki, die kälteste Stadt in Polen (68.000 Einwohner)

Angekommen: Der letzte größere Ort auf der 870 km langen Wanderstrecke durch Polen ist erreicht. Gleich eingangs zur Stadt fallen schon diese Backsteinfassaden aus, schwerfällig, teils verfallen und ganz Militärisch in Beschlag; Fotos machen gefährlich…schnell kann einer der schnittigen Soldaten mein Handy konfeszieren…. Spionage hat hier ja eine lange Geschichte im Grenzgebiet zum Osten.
Dennoch knipse ich heimlich eine der Ziegelfassaden…. der Reiz ist groß…

Wie alle polnischen Städte hat Suwalki im Zentrum eine große, quadratische Freifläche, mit hohen Bäumen als Park, rundherum Geschäfte und Behörden, wenn auch nicht wirklich belebt.
Ich laufe umher und erkenne wie groß die Stadt im Zentrum ist, esse erstmal deftig und eben billig eine satte Mahlzeit in einer der ganz einfachen Kantinenartigen Lokale; ein polnisches Wirrwar auf der Speisekarte erlaubt nur ein Ratespiel was zu bestellen gilt; Hackfleisch als „Klopsie“ kann ich wittern und zahle für 1000 Kalorien bester polnischer Hausmannskost sagenhafte 2.20 €, im Supermarkt gehts nicht billiger.

Doch wenn ich später mal an Suwalki denke, dann wohl an diese fantastische Shoppingmall, die aufgeblähte „Suwalki Plaza“ die um ein historisches Gemäuer gebaut deutlich speziell aus den sterilen Einerlei moderner Konsumtempel herrausragt.

Eine Art Gefängniss war das mal hier, ca 100 Jahre alt steht der Ziegelbau heute inmitten eines Glas-Stahlkompexes voller Läden und Musikuntermalung.

Suwalki, ein lebendiger Ort am „Kältepol“ des Landes, alles andere als verpennt und Abseits.

Ein Holländer in Podlachien.

Eigentlich garnicht schlecht die LKW Katastrophe, entlang der großen Straße Nr. 8 von Augustow nach Suwalki; ein luxuriöser Seitenstreifen verschafft mir Platz zu den Tonnen-Bombern, die im Minutentakt vorbeidonnern.
30 km sinds bis Suwalki und bleibe hier auf dieser Strecke.
Auf halben Wege, mit Dröhnen im Ohr, flüchte ich instinktiv in dieses Pizzahaus, hab dort sogar WiFi und treffe Henry, den Holländer welcher von seiner Frau hier verführt, dieses feine Lokal aufgemacht hat.

Henry spricht auch Deutsch, und kommen toll ins Gespräch, was für heute wohl auch den Tag beschließt; ein hölzener Hinterschuppen ist für die nächste Nacht meiner.

Eiskalt aber durch die Super – Wanderleben Ausrüstung dann richtig gemütlich, schlafe ich himmelhaft gegen zehn auf meiner Luftmatratze, versunken im Wust aus Schlafsäcken und Decken. Frisch geduscht sogar. Die hatte mir Henry natürlich auch noch verschafft, inklusive Pizza und einige frische „Łomza“ vom Fass. Kostenlos.

Draußen wechselt das Wetter schneller als ich meine Unterhosen…. ( würde ich gern öfter..) kurze, intensive Sonnendurchbrüche schaffen eine lebhafte Stimmung, doch Regen und gnadenloses Grau dominieren klar.

Ich bin drinnen, und drinnen sein tut einfach gut. Wärme, sitzen, Gespräche.

Leben & Überleben…

Und wieder eines meiner berühmten Bilder vom gedeckten Outdoor Tisch. Insegsamt alles für 8,20 € ( 35 Zloty) heute eingekauft bei Lidl in Augustow.

Billig ist das Leben in Polen zumindest für uns aus Deutschland; ein dickes Brot kostet ca 1,20€, ein Liter besserer O-Saft 1,10€, Aufschnitt zwischen 60 Cent und 2 €, ein kleiner Eimer Kartoffelsalat 1,50€ (500 g) Gorgonzola Käse 2 € (200 g) eine Flasche Bier von 80 Cent bis 1,30€ Wurst auch bezahlbar, und viel günstiger als bei uns.

So zahlte ich für die ganze Fuhre (Bild) 35 Zloty, also über acht Euro. Dazu kommt allerdings noch ein spezieller Luxus, und zwar der berühmte WiFi Cafe, manchmal auch eine ganze WiFi Mahlzeit.
Nicht nur um an den begehrten Code fürs Internet zu kommen (den bekäme ich eigentlich auch umsonst hier, in Gegensatz zur heimatlichen Gastronomie, wo Konsumpflicht als Schlüssel zum offenen www herrscht)
Aber da wäre eben noch dieses so starke Begehren einer warmen Mahlzeit…. jaja, oder wenigstens eines heißen Espresso (der taugt in Polen was!) … und zak, wieder stehen weitere 25 Zloty auf der Rechnung. Naja, eben sechs Euro, aber somit bin ich heute in Augustow um insgesamt 14 € ärmer geworden.

Touristisch sind das eigendlich kaum nenneswerte Ausgaben. Schon garnicht im „Heimatleben“ wenn ich zur Miete wohne, im Stammlokal essen gehe, meine Verträge, Abos und Versicherungen bediene, und eben ähnlich für den täglichen Bedarf einkaufe.

Aber im Wanderleben sieht die Sache anders aus. Zumindest jetzt in dieser Phase meines Projektes, bewaffnet mit ganzen 580 € für insgesamt sechs Monate ………………….. und 220 sind schon weg seit dem Hostel in Warschau vor 18 Tagen, also 12 pro Tag, garnicht mal sooo schlecht. Bleiben aber noch 360€ für die nächsten fünfeinhalb Monate übrig, – oder sagenhafte 2,20 € pro Tag ….. wenn das mal nicht rosige Aussichten sind.
Arbeit gab es Zuhause (im Heimaturlaub) zu wenig. Sponsoren schenkten mir das neue Handy, sowie einen Teil für das neue Samsung Tablet, mit dem ich hier alles mache.
Und arbeiten im Ausland?
Keine Chance, zumindest nicht in Osteuropa…. und schon garnicht in Russland.
Also dann rein ins kalte Wasser, mit Kälte kann ich mittlerweile ja gut umgehen, und gucken was das Projekt taugt.
….Ob es nun nach einiger Zeit von Sponsoren leben kann.

„Wer schenkt mir Kilometer“ – denke ich könnte doch gut klingen.

„Ein Kilometer für 50 Cent“  … wäre was zum Überleben nötig ist.

Zudem will ich mein fertiges Buch vom Jakobsweg als E-Book kostenlos online stellen, und wer mag, kann dafür was spenden…
Der Zloty (bald der Rubel) muss rollen.

Wanderleben = Zockerleben.

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