Urban-Wild-Camping in der Metropole…

Heißt mein großes Comeback jetzt … wenn überhaupt, nach vielen Monaten Heimat war ich eigentlich nie wirklich aus dem Wanderleben raus. War immer frei, hatte viel Zeit, war mal hier mal da, Zuhause im Ruhrgebiet, nur eben nicht weit weg.

Ach mann, hatte einfach nirgends genug Moneten zusammenkriegen können um wieder zurück auf die Russische Piste zu kommen; Flugtiket, Visum, Krankenkasse (…) und so weiter, sind und waren finanziell einfach eine zu große Hürde.

Jetzt, und wie immer hoffe ich weiter auf Wunder und schlage mich mal mit Rucksack und Zelt durch Berlin, dort wo ich eigentlich mehrere Freunde habe, wo ich mal wohnte und nun ganz allein, total frei, ja wenn auch mit permanent 15 kg auf den schmerzenden Schultern durch die riesige Stadt treibe.

Habe einen Plan, wandere langsam aber stetig quer durch die Bezirke, wovon Berlin insgesamt 12 hat, alle an sich selbst riesengroß wie Großstädte, voller eigener Zentren von weiter Ausdehnung mit hunderttausenden von Einwohnern.
Berlin kenne ich ja schon recht gut, und versuche jetzt in dieser Zeit wo ich noch in Deutschland etwas festhänge, diese Stadt weiter von innen, von unten, ja von ihrer wilden Seite her zu erkunden. Inmitten des Häusermeeres in urbaner Wildnis aus Brachflächen, in Stadtwälder oder Parks, – wo auch immer, zu Campen. Nur kein Geld darf es kosten, Campingplätze gibts ja auch, sind aber eben nicht umsonst und dazu noch fürchterlich langweilig.

image
Erstmal im Grunewald das Zelt aufschlagen. Die erste wilde Camping-Nacht in Berlin startet im bürgerlichen Stegiltz-Zehlendorf wo der große Stadtwald mal eine einfache Übung ist.

Steglitz-Zehlendorf ist Berlins bürgerlichster Stadtteil (eigentlich Bezirk) mit 320.000 Bewohner auf weiten 103 Quadratkilometern. Da ist viel Platz, da schon der Grunewald ein riesiges Areal dort einnimmt. Lange, breite Straßen und niedrige Eigentumshäuser, immer wieder Geschossbauten in schwerer, manchmal verzierter, manchmal schlichter Bauweise ihrer jeweiligen Epoche wirken erstmal ein wenig langweilig. Zumindest wenn man hier stundenlang zu Fuß umherzieht.

image
Die 141 jährige Friedenseiche ist für mich Baumfreund sofort DAS Wahrzeichen von Zehlendorf, der wohlhabenden Bürgervorstadt Berlins, beim Grunewald und Wannsee gelegen.

Hier ziehe ich umher, pausiere viel da das Gepäck schwer wiegt.
Den Wanderwagen nehme ich hier nicht gern mit, zu umständlich wirds wenn ich in vollen Cafes (fürs Internet) oder Kaufläden & Shoppingcenter will. Freies WiFi oder kostenlose, saubere Toiletten, sowie billigen Espresso finde ich in den Glaspalästen des bösen Kapitalismus eben ganz einfach.

Bezierk Nr. 1 durchwandere ich also vom Unterzentrum Zehlendorf bis Steglitz, ca fünf km weiter entlang der großen Berliner Straße, esse im großstätdtischen Steglitz im „China House“ für 6,50 gebratenden Reis mit Huhn & eine Fassbrause dabei, plaudere mit einer alten, sehr gepflegten Dame über meinen sperrigen Rucksack, erweiche sie offenbar so sehr mit meinen Lebensweg, dass sie 10€ springen lässt.

image
Steglitz City mit seinem 125 Meter hohen Fluch der (bau)wilden 60er Jahre: Dem Steglitzer Kreisel, Berlins größter Asbestruine, die entweder und entgültig abgerissen oder (luxus)saniert als Wohnturm werden soll.

Was sind schon Stunden?
Nur sehr langsam kann ich gehen mit all den Kilos auf den ohnehin schmalen Schultern, treffe wieder auf Bekannte (erst im Internet) die ich Zuhause in Tempelhof-Schöneberg besuche, bekomme dort eine Dusche, lade die Geräte sowie den Kalorienbedarf meines Bauches.
Gezahlt wird üppig: Mit Geschichten aus 5 Jahren Wanderleben ….
Eine Einladung zur Übernachtung, ein Viertel weiter, lehne ich dankend ab; im Zelt und Wild will ich diese Stadt erleben…..

image
Neuer Stadtteil (Bezirk): Tempelhof-Schöneberg ist viel dichter als Steglitz-Zehlendorf, und suche lang nach einen einigermaßen sicheren Platz fürs Zelt. Endlich gefunden: Hier am Südkreuz-Bahnhof gibt es noch ein wildes Stück Berlin für mich 🙂

Ich muss mir Zeit lassen ….

… Was habe ich auch sonst? Kein Geld, aber erstmal was viel wichtigeres: Zeit – um zu verstehen was hier überhaupt los ist, um zu sehen was mich grade so sehr mitreißt; plötzlich wieder im Wanderleben zu sein, irgendwie ungeplant, irgendwie mitten im Friedensmarsch nach Aleppo ….

Aleppo?
Ja, genau das, was seit Monaten, seit Jahren durch alle Medien seine Spur der Unmenschlickeit zieht, dieses Endlos-Elend in Syrien, zieht mich nun in seinen unsäglichen Bann …
Und das gleich in zwei Tagen: Wie besoffen stolpere ich durch die Altstadt von Trier, gefühlt drei Lichtjahre von Berlin entfernt, jaja, Berlin, mal wieder Berlin, wo alles losgehen soll; übermorgen am 26 Dez. startet dieser Friedensmarsch von dort – ich habe es jetzt erst erfahren, Nicky, ein Weltenbummler-Kollege schrieb mir bei Facebook davon. Er hat ganze Arbeit geleistet …

Wanderleben meets Civil March of Aleppo, ich glaube besser gehts nicht; ein Fernwanderer soeben von den Russen eine Visa-Abfuhr verpasst bekommen, (wollte ja für 12 Monate weiter in Russland gen China wandern) fühlt sich berufen an einem 3400 km Friedensmarsch mitzumachen.
Keine Ahnung wie das genau „laufen“ soll…. auf der Website haben sich schon 2655 Mitwanderer angemeldet, ich nun auch.

Freund Georg, mit dem ich eigentlich ein üppiges Weihnachtsfest plante, springt voll drauf an, spendiert mir sogar noch das spontane Bahnticket vom beschaulichen Trier an der Mosel ins Ruhrgebiet. Dort angekommen klappe ich wie ein Taschenmesser zusammen: Grippe, platt wie eine Flunder an Heiligabend im Bett, keine Chance diesen dort wartenden Wanderwagen zu reparieren, der sieht aus wie ein Karren eines Obdachlosen, nach tausenden Kilometern durch Russland.
13 Std Schlaf und schnell wieder weiter damit, egal, der rollt ja noch… in fünf verschiedenen Regionalzügen muss ich es damit bis Berlin schaffen.
Eine Ochsentour, krank und lethargisch kauere ich in mehreren Fahrradabteilen (im ICE gibts keinen Platz für große Kinderwägen/Wanderwägen) und komme im Dunkeln spät an: Berlin ist nach 8,5 Std erreicht, laufe noch die sechs Kilometer bis zum alten Flughafen Tempelhof, finde dort aber noch keine Spur von der Veranstaltung morgen, zelte somit erstmal in einem verwilderten Grünstreifen am Platz der Luftbrücke. Es regnet.

Am nächsten Tag dann gehts mir gottseidank wieder besser, die ersten Backpacker an der Tankstelle unweit des Treffpunktes laut Facebookverkündung tauchen auf. Alles polnische Leute. Ich ahne dass die Gründerin Anna Alboth, eine in Berlin lebende Polin ein weites Echo in ihrer Heimat auslöste.

2655 Zusagen, sowie fast 10.000 Interessenten für den Friedensmarsch nach Aleppo hatten sich kürzester Zeit auf ihren Versuch zum Aufruf irgendwas zu unternehmen gegen den Krieg in Syrien, auf ihrer Aktionseite bei Facebook gemeldet.
Auch ich spührte diese Energie sofort als das sah, fühlte mich verantwortlich endlich mal was tun zu können, „wandern für den Frieden“, mein Gott… was kann ich sonst machen? Ich tue es, ich mache es. Kämpfe mich durch bis Aleppo (Syrien) …. laufe mit all den anderen die berüchtigte Flüchtlingsroute – nur umgekehrt, für Frieden, für 400.000 syrische Kriegstote, gegen all die anderen Kriege (im Jemen, 1600 km südlich von Syrien, beginnt momentan genau die gleiche Katastrophe)
Was bringts?
Praktisch nichts, aber was solls, ganz ganz viele kleine Schritte, ganz viele kleine Dinge die das ganz Große verändern können, mit den Friedensmärschen zum Diskutieren anregen, zum reden, Aufsehen erregen.
In Aleppo mal angekommen (wenn überhaupt möglich) zeigen wir, dass auch kleinste, einfachte Menschen was erreichen, scheinbar unmögliche Wege schaffen (… im tiefsten Winter zu Fuß durchs arschkalte Osteuropa, durch den finsteren Balkan) … das erfüllt mich und 350 weitere Demonstranten, ja das Ganze ist ordentlich mit Polizei/Blaulicht flankiert, also ganz offiziell als Demolauf die halbe Ausfallstraße bis Mahlow vor Berlin blockierend.

In Mahlow gibts gleich auch eine ganze Turnhalle für uns. Mittlerweile sind wir nur noch zu 130.
60% kommen aus Polen, 30 Deutsche folgten dem Ruf nach Aleppo, ca 30 aus vielen weiteren Ländern, die Halle wurde von der Stadt Mahlow gestellt, ich fühle mich emotional wie zurückversetzt auf dem Jakobsweg….. welch ein Traum.

Dresden, Freitag der 06.01.2017.

Und ein ganz großer Sprung, 200 Kilometer weiter südlich von Berlin, jaaa, bis hierhin haben wir es schon geschafft; 90% des Marsches haben schon gewechselt, 12 Tage Friedenszug durch die Brandenburgische Provinz durch die nun scheußlichsten Monate des Jahres: Der Januar, nasskalt dann extrem eiskalt gibt alles.
Ich weiß garnicht mehr in wie viel Turnhallen oder kalten Umkleidekabinen wir übernachtet hatten, von risengroß und schön warm bis lausig, kalt und eng (Silvester…) zog es sich täglich (ohne Pause) immer 20 km von Dorf zu Dorf.

Internet gab es nur sehr selten und wenn dann war ich halt völlig fertig, entweder von der Schblone der Gruppe überfordert, oder viel zu müde, hungrig und platt um groß Journalistische Glanzstücke zu zaubern.
Eben alles so sehr anders als im freien Wanderleben wo ich als einsamer Wolf so sehr frei bin, einfach irgendwo einkehren kann um hier meiner Zeilen zu fröhnen, da wo es spontan ein WiFi gibt, oder mal ein Käffchen.

Das ist jetzt anders.
Schön oder nervig?
Beides, und sich immer völlig schnell abwechselnd. Nein, da mache ich nicht mehr mit, will mein eigener Herr sein, auf meinen Landkarten die Striche malen.
Und so ziehe ich nun im Strom mit, alles ist vorgegeben, wenn auch das „Orga Team“ hinter den Kulissen ständig irgendwie rumbastelt, Kontaktarbeit mit den nächsten Bürgermeistern oder Pfarrern der nächsten Dörfer meistert; irgendwie müssen zwischen 60 und 30 Leute möglichst im Warmen unterkommen…. ganz große Logistik, auch für die mobile Küche die schonmal vorprescht, sowie auf der Route den großen Wasserkessel zum kochen bringt, hunderte Teebeutel auf die frierenden Läufer des Friedens warten.

Heute war es mal wieder soweit, ich war kurz davor alles hinzuschmeißen, der Wanderwagen ist kaputt, habe seit 12 Tagen zum ersten mal geduscht (weils immer so nervig war, zuvor so lang zu warten bis die seltenen Duschkabinen frei waren) die Kleidung stinkt, sehe aus wie ein Wehrwolf, muss dringend zum Frisör……
Doch dann, nach Tagen des Zweifels (ich hatte kaum Fotos gemacht, trottete einfach mit) lese ich die vielen Grüße bei Facebook, kleine Geldspenden lassen hoffen, ein reges Interesse macht die Runde, ob in meinem Freundeskreis oder in den Medien “ Toll was Du machst, hab die in der Abendschau auf mdr gesehen“ heißt es in einer Mail von einem fernen Bekannten.
Freund Jürgen aus Berlin spendet mir sowie Gerben aus Moers (Ruhrgebiet), bewahren mich vor dem Gröbsten. Danke auch an alle weiteren die in den schweren Zeiten etwas Wärme in den Marsch brachten, ohne eure Spenden kann selbst der ausdauernste Wanderer dieser großartigen Sache nicht mehr weiter.

So, das war mal ein großer Umriss der ganzen Sache und ja, ICH WERDE KÄMPFEN, – helft mir bitte dabei, helft somit den Civil March for Aleppo und spendet auch dort auf dessen Homepage, geht an die Logistik und Versorgung des gesamten Weges für uns.

Jeder kann natürlich mitmachen, der Marsch lebt davon, ist zudem so eine Art Staffellauf. Es kommen die Allermeisten für einige Tage dazu und gehen wieder.
Einige nur für einen einzigen Tag, sogar angereist aus Polen… jeden Tag neue Gesichter, neue Geschichten.

Der Friedensmarsch nach Aleppo ist völlig neutral, unser Symbol ist eine weiße Fahne, wir sind gegen Niemanden, nur gegen Krieg und für den Frieden.

… Wanderleben/Heimatleben …

Gehört untrennbar zusammen: Wandern & Heimat ergänzen sich in ihrer jeweiligen Länge, – oder Kürze; sechs Tage bin ich jetzt bei der Familie in Recklinghausen, dank Billigflieger mal ganz kurz bei den Lieben, oh mann, was für ein Schnitt, was für eine Wohltat diese Pause vom so geliebten Weltweg da draußen…

Ja, Dinge die wir lieben brauchen auch Distanz. Gelegentlich, unregelmäßig und diplomatisch.

Ein volles Jahr im Wanderleben wäre das maximale, ein paar Monate Zuhause (Heimatleben) eben auch, und es kommt mir dann doch zu kurz vor diese sechs Tage Daheim, zu viel wollte ich noch machen, soooo viel hab ich auf dem Herzen. Aber morgen am Samstag Mittag geht er wieder, der Flug zurück nach Tallinn, zurück ins andere Leben…

Wie erwartet mit Freud und Leid; die müßigen Abschiede von der Familie, mittlerweile in Routine nicht mehr so schlimm, sowie die Vorfreude auf Zelt, Straßen, fremde Sprachen, weite Landschaften …

Das höchste Glück des Fernwanderers ist seine Heimat; zum einen in mir selbst, sodass ich in mir Zuhause bin und somit sehr mit mir im reinem. Viele weit Reisende suchen sich selbst, suchen und suchen, ja laufen, fahren, rennen weg vor sich selbst.
Die Probleme, die Sorgen aber kommen mit, wobei eben das weg-sein in diesem Fall was gutes ist, wenn auch nicht eine finale Lösung für Alles.

Ich habe mich schon gefunden, will ja nicht von Zuhause weg, sondern nur hinaus in die Welt …

Ein Fernwanderer sollte sich schon gut kennen, sollte sich mögen können, entgegen der landläufigen Meinung „gehe weit hinaus und finde Dich“, um wirklich da Draußen glücklich zu sein.

Andernfalls kann eine Fernwanderung wirklich ein Heilmittel sein; der Jakobsweg zum Beispiel hatte mir auch so sehr geholfen zu entscheiden was ich wollte. Nun bin ich hier.

Freund Georg ist übrigens auch seit gestern los: Er läuft mit frischen 65 nun in die Rente, von Trier die 2300 km nach Santiago (Spanien) in über drei Monaten Wanderzeit. Er rief gerade noch an von der Front, allerdings mit Klagen über Schmerz an den Füßen und leerem Bauch, da kein Frühstück um sechs Morgens….
Dank Wanderwagen passiert mir sowas nicht so schnell, und werde ihn morgen wiedersehen, meinen Weggefährten seit über 7600 km, im Dorf Jäneda abseits vom Flughafen Tallinn.

Morgen Abend bin ich dann wieder in der anderen Welt …

image
Auch Zuhause tut sich was: Die Recklinghäuser Zeitung berichtet vom Wanderleben.
image
Auch die "WAZ" berichtet übers Wanderleben auf einer halben Seite. Je berühmter mein Projekt wird, um so besser schaffe ich ihn: Den "Deutsch-Russischen Freundschaftslauf, 10500 km durch Russland.

Ein Stück Lettland nur für mich…

Ich nehme es mir einfach: Das Land links oder rechts der Straße; 17 Uhr, die Füße merke ich schon ganz doll, der stetige LKW Terror nervt mittlerweile, also ab auf die Weide.

Land, das haben die hier wohl reichlich, einfach irgendwo wo’s am schönsten ist stelle ich mein Zelt in die Sonne des Nachmittags.

Diesmal campiere ich hinter einem kleines Wäldchen, gut geschützt mit Aussicht auf mindestens 400 Meter grüner Weide.

Ach wie schön, als gehöre mir all das hier…. ich kann machen was ich will, halte mein Glas mit feinem lettischen Bier in die Abendsonne. Es ist wärmer heute, es duftet nach Gras.

Die letzte Nacht im Zelt, 36 km vor Riga, wo ich dann ganze 10 Tage verbringen werde.

image

image

Lettland: 1.970.000 Einwohner.

Fast gleich groß wie Litauen aber mit noch weniger Menschen, erwartet mich die nächste Landmasse auf dem Weltweg in Richtung Norden.
Nördlich ist es hier allemal, kalt aber sowas von Sonnenklar die lange, etwas in die Jahre gekommende Fernstraße nach Riga ist menschen/autoleer, eine Wohltat hier die Kilometer zu besohlen..

Zuvor aber noch eine Überraschung: 1,95 € kostet hier im Grenzkaff Skaistkalne (660 Einwohner) die komplette Mahlzeit aus Schnitzel, überbacken mit Käse, dazu Kartoffeln und Salat.
Alles im trostlosen Ambiente einer engen Kantine aus Gorbatschovs Zeiten. So auch die Bedienung.

Im Tante Emmaladen nebenan komme ich auch wieder gut klar mit den berühmten 10 Euro Tagessatz; ein Taken billiger sogar kommt mir alles hier vor.
Bier und überhaupt, alles was das Säuferherz begehrt, ist überreich da, lässt die meterlangen Regale fast zusammenbrechen vor Überangebot; Schnäpse, Weine (meist süße aus Moldavien) und vor allem Bier, mittlerweile aus 1,5 und 2 Liter Torpedos (Plastikflaschen) – noch in Litauen kürzlich verboten, da zu viele sich mit den Riesenpullen zu Tode soffen….. erzählte man mir dort.
Nicht so in Lettland, wobei einiges hier gleich anders rüberkommt: 10 km weiter halte ich im kleinen Dorf Barbele, finde hier eine Bibliotek mit WiFi. Internet hat hier in den neuen, baltischen Ländern eine große Priorität, wird und wurde staatlich gefördert.
Priorität hat allerdings auch der Alkohol; laut krächzend schallt trunken das Lachen einer Frau, um ihr nicht minder besoffene Typen, allesamt eigentlich nicht alt.
Ein ungepflegter Älterer dann, sülzt mich auf russisch an, wackelt am Wanderwagen und lacht….

Uff, so offen und heftig wars in Litauen dann doch nicht….

Beide Länder aber haben ein deutliches Problem mit der Alkoholisierung ganzer Gesellschaftsschichten, speziell die russische Minderheit hier in Lettland scheint offensichtlich mehr betroffen zu sein; die wenigen Leute hier in Barbele die offensichtlich reichlich intus haben, sprechen (sofern ihre Lauten verständlich sind) russisch.

Ansonsten hört sich das Lettische nochmal ganz anders an, eher nordisch, vielleicht so wie schwedisch…

Erste Eindrücke im neuen Land.

(Bilder: Ein ganzes Essen für 1,95 in Gorbatschovs Taverne / erst 10 km Wald bis Barbele auf der langen Straße / Neues Land, neue Biere… Feierabend auf der Apfelplantage nahe der P89 nach Riga)

Wat krabbelt da in mein Bett ???

Kribbel krabbel…. es ist wieder soweit: Der lange Winter weicht allmählich und schon kommen sie aus allen Richtungen; Zecken groß wie Hühner wollen sich an meinem Blute laben.

Nix da, eine nach der anderen opfere ich auf dem Titan – Altar meines Metallbechers auf dem die fiesen Blutkrabben knackend mit dem dumpfen Messergriff zerstampft werden….
Mache ich nicht gern, aber wie krieg ich die sonst los.

Acht Viecher habe ich an diesem Abend ins Zecken-Jenseits schicken müssen.

Am nächsten Morgen erforsche ich gründlich meinen Leib, finde keinen vollgesaugten Eindringling, rechne aber damit, weil irgendeine winzige Bluterbse kommt immer durch …. Frühsommermeningoenzhepalitis und Borelien (richtig geschrieben?) aber hoffentlich nicht.
Daheim muss der Dock mal nach dem Rechten schauen.

(Bilder: Nette Gesellschaft beim abendlichen Bier am offenen Zelt. Morgens bei frostigen zwei Grad die Körperpflege die nötig/möglich ist)

image

image

Bye Litauen….

… und lieben Dank für das tolle Kraftpaket voller Leckereien obendrauf.

Ja, das haben mir die lieben Mädels vom „Sucre Cafe“ spendiert, begeistert vom „Walking around the World“ – und das auch noch in ihrem kleinen Lithuania….

  • Grobe Speckwürfel mit Sauerkraut in Teig gebacken, Kirschsahnecreme ebenfalls in Teig gerollt und feine Milchbrötchen sollen mich für die letzten 23 km stärken. Eine Spende fürs Wanderleben.

Naja, aber dieses Biržai ansich hatte mich mehr erwarten lassen; als traditionelle Bierbrauerstadt kommt das verpennte Nest heute kaum noch rüber. Längst vorbei dürften die Zeiten voller Bierstuben und rauchender Brauereischlote sein…. finde nur noch einige „Baras“ im seichten Stadtbild, die schlichten Saufkneipen fürs rauere Volk.

Der See an dem die Kleinstadt liegt, macht aber Freude. Im Sonnenschein umwandere ich ihn weiter hoch nach Norden…. bis ca 5 km irgendwo zwischen den grauen Dörfern, wo etwas Wildnis meine Nachtruhe sichert.

(Bilder: Die Supergirls vom Sucre in Biržai, Essensspende, meine letzte Nacht in der Wildnis Litauens, die ewigen Fischkonserven…. wenn man eben keinen Kocher hat…..)

400 km „Camino Lituano“ fast geschafft.

Zum WiFi & Cappuccino im Cafe „Sucre“, dem einzigen online Fleck in der 14.000 Einwohnerstadt Biržai.

Wieder eine Barockkirche und Plattenbauten, die etwas niedriger ausfallen will ich vielleicht später noch näher beschreiben. Ansonsten ist’s eben Sonntag (etwas Sonne, 8 Grad) und das Kaff döst vor sich hin.

Ich genieße noch die warme Raumluft, esse billiges Gebäck und ziehe nachher aus dem Ort raus unter die Tannen. Ob ich in der „Bierstadt“ Biržai noch ein frisch Gezapftes im Ort bekomme, oder erst am Zelt später aus der berüchtigten Plastikpulle, weiß ich jetzt noch nicht…. reine Männergedanken eben 🙂

1870 Kilometer insgesamt hab ich nun auf den Sohlen. 400 allein im kleinen Litauen (wegen des Umweges nach Vilnius) und zusammen mit dem Jakobsweg schon 7120 Kilometer mit dem einen Wanderwagen.

(( Tagesausgaben: 12 € rein für Essen & Trinken, manchmal einen Caffe für’s WiFi // Einnahmen des „Unternehmens Wanderleben: 423 € …. hierfür ein riesiges DANKE. – 300 sind allein von einem guten Freund. Bitte schenkt mir weiterhin Kilometer; 50 Cent pro km – Russland ist verdammt weit – ))

Morgen walke ich noch die letzten 25 km über eine verlassene Landstraße bis zur Grenze hoch nach LETTLAND.

Welche Zukunft im „Land ohne Zukunft“?

… Wie es noch fast 400 km zuvor in der Touristeninfo hieß; „Lithuania is without future“ … ein starkes Stück sowas ausgerechnet in der Touristen-Information zu hören.

Klar, die wohl erst 20 Jährige dort gehört wie 50% ihrer Altersgenoss(innen) zu der Auswanderwilligen, jungen Generation.

Ob nun Valdas, Silvija oder Asta, sie alle haben irgendwas mit dem Ausland zu tun oder planen weg zu gehen…. Litauen, doppelt so groß wie Belgien, oder gleichauf mit Bayern, verliert aber weiterhin dramatisch seine Menschen; 2,88 Mio verteilen sich noch in den Weiten, flachen Land.
2,1 Mio sollen es einer Prognose nach in 34 Jahren werden, also ganze 800.000 weniger, das wäre so als verlöre Deutschland 20 Mio Einwohner.
Allein in England leben 130.000 Litauer, in den USA 40.000 und in Deutschland immerhin 30.000.

Also was bleibt? Alte. Auf dem Land jene die nur ihre eine Sprache können, und dort einfach bleiben. Ja, besonders auf dem flachen so weiten Land wo ich über Tage den Wanderwagen endlos monoton an kilometergroße Äcker vorbei schiebe, liegt wohl die Zukunft dieses Landes: Ackerland so weit das Auge reicht, Boden der vor allem Weizenbau kultiviert, Viehzucht und auch Holz hatt dieses Land satt zu bieten.
Hier draußen sind zwar die Löhne mikrig, in den grauen Dörfern herrscht Langeweile in den Pausen zwischen all der Arbeit; Litauens darbenden Dörfer und Höfe fehlt es an Arbeitern, die wenigen Jungen ziehen in die Stadt oder saufen sich doof und dusselig im Dorf.
Getreide exportiert das kleine aber dennoch weite Agrarland mittlerweile in eine immer hungriger, größere Welt; Bevölkerungswachstum in Indien oder China verlangen immer mehr Nahrung. Litauen hat sie, nahezu dreimal mehr als es selber braucht.
Somit ergibt sich für all diese immer leerer werdenden Flächenstaaten im fernen Osten Europas die Chance als Kornkammer zu bestehen, eine zukunftsfähige Dorfkultur zu wahren.
Somit sind es eben wieder die Dörfer, wo es so billig Platz, Haus und Hof gibt, wo die EU Tonnenweise investiert um den Zerfall zu bremsen, wo es eigentlich genug an allem gibt, außer eben auch an Langeweile. Das treibt eben die letzten Jungen in die Ferne…. tausende Euros im Monat, Fernreisen, Shoppingmalls, …. das gibt es hier Draußen eben nicht.

(Bild: Vabalninkas, das einzige größere Dorf mit Laden, Kirche und „Kavine“ auf meinem 65 km langen Weg von Panevezys nach Biržai hat heute nur noch 980 Einwohner. Früher waren es mal 1500)

image