… Was habe ich auch sonst? Kein Geld, aber erstmal was viel wichtigeres: Zeit – um zu verstehen was hier überhaupt los ist, um zu sehen was mich grade so sehr mitreißt; plötzlich wieder im Wanderleben zu sein, irgendwie ungeplant, irgendwie mitten im Friedensmarsch nach Aleppo ….
Aleppo?
Ja, genau das, was seit Monaten, seit Jahren durch alle Medien seine Spur der Unmenschlickeit zieht, dieses Endlos-Elend in Syrien, zieht mich nun in seinen unsäglichen Bann …
Und das gleich in zwei Tagen: Wie besoffen stolpere ich durch die Altstadt von Trier, gefühlt drei Lichtjahre von Berlin entfernt, jaja, Berlin, mal wieder Berlin, wo alles losgehen soll; übermorgen am 26 Dez. startet dieser Friedensmarsch von dort – ich habe es jetzt erst erfahren, Nicky, ein Weltenbummler-Kollege schrieb mir bei Facebook davon. Er hat ganze Arbeit geleistet …
Wanderleben meets Civil March of Aleppo, ich glaube besser gehts nicht; ein Fernwanderer soeben von den Russen eine Visa-Abfuhr verpasst bekommen, (wollte ja für 12 Monate weiter in Russland gen China wandern) fühlt sich berufen an einem 3400 km Friedensmarsch mitzumachen.
Keine Ahnung wie das genau „laufen“ soll…. auf der Website haben sich schon 2655 Mitwanderer angemeldet, ich nun auch.
Freund Georg, mit dem ich eigentlich ein üppiges Weihnachtsfest plante, springt voll drauf an, spendiert mir sogar noch das spontane Bahnticket vom beschaulichen Trier an der Mosel ins Ruhrgebiet. Dort angekommen klappe ich wie ein Taschenmesser zusammen: Grippe, platt wie eine Flunder an Heiligabend im Bett, keine Chance diesen dort wartenden Wanderwagen zu reparieren, der sieht aus wie ein Karren eines Obdachlosen, nach tausenden Kilometern durch Russland.
13 Std Schlaf und schnell wieder weiter damit, egal, der rollt ja noch… in fünf verschiedenen Regionalzügen muss ich es damit bis Berlin schaffen.
Eine Ochsentour, krank und lethargisch kauere ich in mehreren Fahrradabteilen (im ICE gibts keinen Platz für große Kinderwägen/Wanderwägen) und komme im Dunkeln spät an: Berlin ist nach 8,5 Std erreicht, laufe noch die sechs Kilometer bis zum alten Flughafen Tempelhof, finde dort aber noch keine Spur von der Veranstaltung morgen, zelte somit erstmal in einem verwilderten Grünstreifen am Platz der Luftbrücke. Es regnet.
Am nächsten Tag dann gehts mir gottseidank wieder besser, die ersten Backpacker an der Tankstelle unweit des Treffpunktes laut Facebookverkündung tauchen auf. Alles polnische Leute. Ich ahne dass die Gründerin Anna Alboth, eine in Berlin lebende Polin ein weites Echo in ihrer Heimat auslöste.
2655 Zusagen, sowie fast 10.000 Interessenten für den Friedensmarsch nach Aleppo hatten sich kürzester Zeit auf ihren Versuch zum Aufruf irgendwas zu unternehmen gegen den Krieg in Syrien, auf ihrer Aktionseite bei Facebook gemeldet.
Auch ich spührte diese Energie sofort als das sah, fühlte mich verantwortlich endlich mal was tun zu können, „wandern für den Frieden“, mein Gott… was kann ich sonst machen? Ich tue es, ich mache es. Kämpfe mich durch bis Aleppo (Syrien) …. laufe mit all den anderen die berüchtigte Flüchtlingsroute – nur umgekehrt, für Frieden, für 400.000 syrische Kriegstote, gegen all die anderen Kriege (im Jemen, 1600 km südlich von Syrien, beginnt momentan genau die gleiche Katastrophe)
Was bringts?
Praktisch nichts, aber was solls, ganz ganz viele kleine Schritte, ganz viele kleine Dinge die das ganz Große verändern können, mit den Friedensmärschen zum Diskutieren anregen, zum reden, Aufsehen erregen.
In Aleppo mal angekommen (wenn überhaupt möglich) zeigen wir, dass auch kleinste, einfachte Menschen was erreichen, scheinbar unmögliche Wege schaffen (… im tiefsten Winter zu Fuß durchs arschkalte Osteuropa, durch den finsteren Balkan) … das erfüllt mich und 350 weitere Demonstranten, ja das Ganze ist ordentlich mit Polizei/Blaulicht flankiert, also ganz offiziell als Demolauf die halbe Ausfallstraße bis Mahlow vor Berlin blockierend.
In Mahlow gibts gleich auch eine ganze Turnhalle für uns. Mittlerweile sind wir nur noch zu 130.
60% kommen aus Polen, 30 Deutsche folgten dem Ruf nach Aleppo, ca 30 aus vielen weiteren Ländern, die Halle wurde von der Stadt Mahlow gestellt, ich fühle mich emotional wie zurückversetzt auf dem Jakobsweg….. welch ein Traum.
Dresden, Freitag der 06.01.2017.
Und ein ganz großer Sprung, 200 Kilometer weiter südlich von Berlin, jaaa, bis hierhin haben wir es schon geschafft; 90% des Marsches haben schon gewechselt, 12 Tage Friedenszug durch die Brandenburgische Provinz durch die nun scheußlichsten Monate des Jahres: Der Januar, nasskalt dann extrem eiskalt gibt alles.
Ich weiß garnicht mehr in wie viel Turnhallen oder kalten Umkleidekabinen wir übernachtet hatten, von risengroß und schön warm bis lausig, kalt und eng (Silvester…) zog es sich täglich (ohne Pause) immer 20 km von Dorf zu Dorf.
Internet gab es nur sehr selten und wenn dann war ich halt völlig fertig, entweder von der Schblone der Gruppe überfordert, oder viel zu müde, hungrig und platt um groß Journalistische Glanzstücke zu zaubern.
Eben alles so sehr anders als im freien Wanderleben wo ich als einsamer Wolf so sehr frei bin, einfach irgendwo einkehren kann um hier meiner Zeilen zu fröhnen, da wo es spontan ein WiFi gibt, oder mal ein Käffchen.
Das ist jetzt anders.
Schön oder nervig?
Beides, und sich immer völlig schnell abwechselnd. Nein, da mache ich nicht mehr mit, will mein eigener Herr sein, auf meinen Landkarten die Striche malen.
Und so ziehe ich nun im Strom mit, alles ist vorgegeben, wenn auch das „Orga Team“ hinter den Kulissen ständig irgendwie rumbastelt, Kontaktarbeit mit den nächsten Bürgermeistern oder Pfarrern der nächsten Dörfer meistert; irgendwie müssen zwischen 60 und 30 Leute möglichst im Warmen unterkommen…. ganz große Logistik, auch für die mobile Küche die schonmal vorprescht, sowie auf der Route den großen Wasserkessel zum kochen bringt, hunderte Teebeutel auf die frierenden Läufer des Friedens warten.
Heute war es mal wieder soweit, ich war kurz davor alles hinzuschmeißen, der Wanderwagen ist kaputt, habe seit 12 Tagen zum ersten mal geduscht (weils immer so nervig war, zuvor so lang zu warten bis die seltenen Duschkabinen frei waren) die Kleidung stinkt, sehe aus wie ein Wehrwolf, muss dringend zum Frisör……
Doch dann, nach Tagen des Zweifels (ich hatte kaum Fotos gemacht, trottete einfach mit) lese ich die vielen Grüße bei Facebook, kleine Geldspenden lassen hoffen, ein reges Interesse macht die Runde, ob in meinem Freundeskreis oder in den Medien “ Toll was Du machst, hab die in der Abendschau auf mdr gesehen“ heißt es in einer Mail von einem fernen Bekannten.
Freund Jürgen aus Berlin spendet mir sowie Gerben aus Moers (Ruhrgebiet), bewahren mich vor dem Gröbsten. Danke auch an alle weiteren die in den schweren Zeiten etwas Wärme in den Marsch brachten, ohne eure Spenden kann selbst der ausdauernste Wanderer dieser großartigen Sache nicht mehr weiter.
So, das war mal ein großer Umriss der ganzen Sache und ja, ICH WERDE KÄMPFEN, – helft mir bitte dabei, helft somit den Civil March for Aleppo und spendet auch dort auf dessen Homepage, geht an die Logistik und Versorgung des gesamten Weges für uns.
Unser tägliches Ritual: Der „Circel of Power“ in jedem Dorf/Stadkern wo wir übernachteten, teilen wir nocheinmal alle Energie und los gehts..
So ging es all die Tage durch Brandenburg übers platte Land. Täglich nicht mehr als 22 km, aber beständig mit jeweils zwei Teepausen unterwegs.
Das Banner wird ständig am Anfang des Friedenslaufes gehalten, über den Dörfern als auch im tiefsten, einsamsten Wald.
Es ist ein kommen und gehen. Manchmal sind wir über 60 Leute, manchmal gerade 30…. das Wetter hat da keine Gnade.
Immer wieder kurz dabei: Syrer aus den Heimen der Kleinstädte so wie Mohamad aus Homs (Zentralsyrien). Seine Geschichte hat mich sehr getroffen, tote Komolitonen seiner Uni, tote Brüder… seine verzweifelte Mutter schickte ihn zu uns, damit sie ihn nicht auch noch verliert. Ein Soldat, ein Kämpfer fernab seiner Heimat. Mohamad studiert nun wieder.
Drinnen ist es proppenvoll, Draußen kocht dann der Kessel. Turnhallen oder schlichte Umkleidekabinen von Sportplätzen müssen reichen über Nacht gegen die Kälte.
Das tägliche Getümmel. Die Räume einer Kirchengemeinde wie hier in Moritzburg, kurz vor Dresden, sind schön warm und viele müssen erstmal ein Schläfchen halten nach 22 km zu Fuß durch die Nasskälte eines schlecht gelaunten Januars.
Große Kundgebung im Herzen von Dresden. In der „Pegida-Stadt“ hatten wir allerdings völlig unsere Ruhe. Offenbar und logischerweise stört dem klassischen „Wutbürger“ unser Friedensmarsch nicht.
200 Leute hatten sich gestern (05.01.2017) in Dresden, mitten vor der Frauenkirche am Neumarkt in der Alstadt eingefunden. Einige von uns erzählten mit Lautsprechern ihre Beweggründe dabei zu sein. Bei minus 11 Grad sind mir die Tränen gekommen, die Eisfüße hielten somit etwas länger der Kälte stand; es tut so gut diese andere Wärme zu spüren. Wärme der Menschlichkeit in diesen so vielfältig kalten Tagen.
Jeder kann natürlich mitmachen, der Marsch lebt davon, ist zudem so eine Art Staffellauf. Es kommen die Allermeisten für einige Tage dazu und gehen wieder.
Einige nur für einen einzigen Tag, sogar angereist aus Polen… jeden Tag neue Gesichter, neue Geschichten.
Der Friedensmarsch nach Aleppo ist völlig neutral, unser Symbol ist eine weiße Fahne, wir sind gegen Niemanden, nur gegen Krieg und für den Frieden.