Kedainiai (24.000 Einwohner)

27 Kilometer weiter hält mich Kedainiai …. uff, sprich das mal aus, oder merk dir das…  also, Kedainiai, die Stadt lass ich mal nicht links liegen.

Bin auch sowieso ein bischen faul und finde eine sauberes, aufgeräumtes, ja sehenswertes Provinznest vor, hier bleibe ich gern mit Caffee und WiFi an der Hotelbar und ziehe mir erstmal intensiv die Tagesschau.de hinein. Einfach mal komplett Pause vom longtime-Wandern machen…. und sich den Kopf über diese „Panama Papers“ zerbrechen …

Um einiges später kehre ich geistlich wieder zurück von Panama nach Kedeiniai, wollte eigentlich noch fünf km weiter raus, in den Busch zum zelten, aber wende mich vom Weg ab und suche dieses komische Minarett.
Jaja, hier soll es ein Minarett geben in einem Land was wohl am weitesten in jeder Hinsicht von jeglichen muslimischen Glaubens sein dürfte….
Litauen ist recht stolz auf seine katholische Identität, dreht allerdings nicht so volks-oberfrömmisch durch wie noch die Polen das machen.

Um so mehr wundert mich eben dieses völlig einsame Minarett im Walde am Stadtrand; erbaut vor 133 Jahren von einem Baron in Erinnerung an den Krimkrieg dieser Zeit.
Offenbar hat das wohl mit den muselmanischen „Krimtataren“ zu tun, mutmaße ich. Weitere Informationen fand ich im Ort nicht darüber.

Fast neben den Minarett entdecke ich ein schönes Versteck im Busch für die Nacht im Zelt.

(Bilder: Kedeiniai; schöne Häuschen, Holzkirche (barock im Innern) und typische Plattenbauten drumherum)

Kaunas (300.000 Einwohner)

Sonne!

Ich wache auf um sieben in der Früh. Tiergeräusche aller Art mal wieder in dieser schauerigen Nacht… Schokoladenfrühstück, Rasieren, Katzenwäsche, Zähne putzen, einpacken und weiter durch den noch nassen Wald hinaus zur großen Stadt.
Die ist wirklich groß; ganze 13 Kilometer schlängeln sich teils entlang endloser, fürchterlich trostloser Industrie/Gewerbegebiete, auch hier dem Zerfall preisgegeben, die breiten Straßen.
Rostige Bauten, gewaltige Schlaglöcher und hohe, gebrochene Bordsteine fordern den Wanderwagen heraus, den lenke ich mit nötigem Geschick über holperige Trampelpfade entlang der Straßen und uralten Wegplatten durch eine ganz andere Großstadt; Kaunas zeigt sich hier in den Außenbezirken von seiner rostigen, vergammelten Seite…
Doch dann lässt mich die Stadt in ihr Inneres.
Hier wirds schon gleich besser, wobei überall die urbane Flickschusterei ganz klar zeigt in welch einem Überlebensdrama diese so große Stadt steckt.
Selbst die so stolze Fußgängerzone hat an ihrem Anfang erstmal Schotterboden. Über 2,5 km lang zieht sich der Kernbereich Autofrei hinunter bis durch die feine Altstadt.
Wieder ein langer aber mal schöner Weg durch das andere Kaunas.
Hier treffe ich nun die liebe Silvija, bin wieder zum Couchsurfen verabredet und los gehts mit dem Wanderwagen drei km raus, wieder in das Vorstädtische Durcheinander zu ihrer Wohnung, außen trist, aber innen schlicht-gemütlich-sauber einfach mal gut tut.
Silvija ist 27, lebt allein und gefällt mir wirklich sehr.
Jaja, nichts falsches denken, nein. Wir kommen echt super miteinander aus. Dann ist sie weg: Schönwetter draußen, ab die Post nach Trakai, 80 km weit weg ein altes Schloss angucken mit Freundin.
Ohne mich, da sie wirklich versteht, dass ich Kaunas anschauen möchte. – „Be relax“ und drückt mir die Hausschlüssel in die Hand.

Nackig stehe ich fortan im wildfremden Badezimmer und verbrühe mich erstmal im Studium der Dusch-Amaturen, sehe mich etwas stolz im Spiegel und sage: „Geil, Kaunas ist gut zu mir“


…. Sonntag der 03 April …

Zwei Tage sind nun wieder vorbei, und die zweitgrößte Stadt Litauens war schnell überblickt; eine lange Innenstadt mit ganz vielen Kneipen (gute Biere für 2,50€) und einige wenige Bauwerke die auffallen.
Alles in allem steht Kaunas deutlich hinter Vilnius, kommt viel provenzieller rüber und muss wirklich zusehen, seinen Schwund zu meistern; Bauruinen, Verfall und Leerstand prägen das ganze Umfeld des Stadtkerns. Mit 150 Quadratkilometer total aufgebläht auch sehr groß, doch verwildert oder verlottert kein wirkliches Magnet auf Menschen wie einst; im 18ten Jahrhundert noch als Gegengewicht zu Vilnius, ja sogar kurz mal Hauptstadt Litauens, eine florierende Industrie und Handelsstadt steht Kaunas heute der Prognose gegenüber bis zu 70.000 Einwohner weniger zu haben im Jahr 2050.

Doch einige wollen bleiben: Silvija lebt gerne hier, ist ganz im Trend ihrer Landsleute kinderlos und eher gegen den Trend recht glücklich.

Och, ich könnte noch so viel schreiben…. so viel ist passiert, aber nun sitze ich hier auf meinem kleinen Sofa in Silvijas Küche und schreibe und schreibe….

Es ist schon acht Uhr…uff..

Morgen ziehe ich wieder weiter, hoch nach Norden… Fernziel: Riga.

Bilder: Eindrücke von Kaunas, schöne Seiten, schrullige Seiten, Zu Gast auf dem Küchensofa & zu Tisch bei Silvija, Wanderwagen Parkplatz im Wohnzimmer.

Was kostet all der Ärger..?

Wieder ein grauer Tag dieser Freitag, Anfang April und immernoch kaum, oder winzig wenig Knospen an den Zweigen.
Auch noch Schneesturm muss es jetzt geben…. schnell wieder alle Plastikplanen um das mobile Gepäck, schnell des Regencape drüber… und weiterlaufen, weiter…weiter…weiter…

Bis in die Kleinstadt Rumišiškes. Ich bin so ausgelaugt und genervt von all der Nasskälte, dass ich wieder in einer Kavine einkehre, mich nicht zurückhalte ganz deftig zu bestellen: Für gerade mal 6 € diese elefantöse Portion litauischen Bauernschmauses…. da freut sich das Wanderherz und mache erstmal gründlich Pause.

(((Kosten: 6,60 € fürs Einkaufen, 7,10 € fürs warme Essen + Cola = 13,70 € ….zuviel für den Tag, aber so „kostet“ nunmal das Nötige wenns Wetter ärgert)))

Gut gesättigt muss ich aber stetig weiter, morgen bin ich ja in Kaunas verabredet, muss dort ankommen.

Krass: Erst das Dorf Pravieniškes, dann etwas weiter dann „Pravieniškes 2“ – wieder so eine „Monosiedlung“ eines sowjetischen Themas wegen gebaut, erblicke ich auf die wohl häßlichste Siedlung überhaupt: Schmutzige Plattenbauten, unbefestigter Boden voller Schlaglöcher und großer Pfützen drumherum, fleckiges  Mauerwerk, rostige Kamine wie Skulpturen aussehend gruseln mich schon beim Anblick.
Hier wurde mal zwangsgearbeitet, heute alles brach, wenn auch noch weiterhin als wohl größtes Gefängniss im Land genutzt.
Ca 1000 Menschen leben hier in diesen scheußlichen Plattenbauten, nahezu alle bewohnt; Wäsche hängt zum trocknen aus, daneben vergilbte Gardienen hinter altem Fensterglas.
Auf den löcherigen Bürgersteigen kommen sie mir zahlreich entgegen; schlecht gelaunte, oft junge Männer mit Namensschild an der Brust.
Offenbar begegnen sich hier die Extreme der Freiheitlichkeit hautnah; mulmig entgegne ich den neugierigen Blicken der offensichtlichen Häftlinge auf Freigang.
Einen ganzen Kilometer geht das so, rechts diese Plattenbauten (wer wohnt eigentlich da und warum?), links dann wie ein Kunstwerk –  die Mauern, gesäumt von sauber aufgelegten Stacheldrahtrollen wohl eindeutig das Herzstück dieser Siedlung.

Vorbei am Gefängnisskomplex und einigen aufgeblähten  Verwaltungsgebäuden der sowjetischen 60er Jahre, gehe ich da weiter wo offenbar all die Kerle mit ihren Namensschildchen nicht weiter dürfen…
Ein großes Waldgebiet steht mir bevor.
Es ist 18:00 Uhr, noch zwei Std hell… ich wandere und wandere die wirren Sandwege immer tiefer in den Wald, Schneeregen peitscht wieder hinunter, doch ich mühe mich sehr den richtigen Weg aus den vagen Strichen der Landkarte zu deuten, schlage mich fernab des Geschehens, ca drei Kilometer weit von Pravieniškes-2 in den Busch und verstecke mich dort für die Nacht.

Bilder: Hab mich nicht getraut im Gefängnissdorf wild zu fotografieren. Überhaupt war alles sowas von trist und häßlich dort, dass ich nicht wirklich daran dachte.
Statdessen, und wie immer: Schnee, Regen und Matsch…. und, jaaaa, so deftig, so günstig; 1200 Kalorien für 6€.

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Žiežmariai ???

…Na wieder so eine leckere Suppe? Nee, dieser Zungenbrecher war mal eine kleine Stadt vor ca 100 Jahren, mit vielen Geschäften, einem Gasthaus und Speiselokalen.
Typisch litauische Holzhäuser an der alten Handelstraße zwischen Vilnius und Kaunas, allesamt von jüdischen Geschäftsleuten bewohnt, kauern noch heute ein eher trostloses Dasein in einem Ort der auch wie viele im Land, wieder vom städtischen ins dörfliche zurückschrumpfte.

Žiežmariai, damals die wichtigste Zwischenstation auf dem 100 km langen Weg, kauert heute nur noch als Schatten seiner selbst am Rande dieser neuen, gewaltigen Autobahn.
Der Niedergang ging mit der Deportation aller Juden damals in den 40ern los, auf einen Schlag gab es all die Geschäftemacher nicht mehr, und die Stadt verlor mit der Automobilisierung ihre Bedeutung, gibt heute als ausgedehnter Haufen vieler Holz und traditioneller Steinhäuser ein Bild als „Großdorf“ mit 3400 Einwohnern.

Einer davon hat mich eingeladen zu sich: Der 32 jährige Laurynas schrieb mir auf „Couchsurfing“ dass ich bei ihm Halt machen sollte. So wie ganz früher als zwischen Vilnius und Kaunas die Pferdekutschen oder eben Wanderleute im Ort Rast hielten.

Endlich kann ich jetzt mal so ein Dorfhaus von innen sehen; einfach, nahezu leer wirkt mein Habitat für die Nacht. Ein einfaches Sofa in der Raumitte, etwas deplaziert, soll mein Bett werden. Ein Herd, ein Kamin und ein Tisch mit Laptop + Kabelsalat, sowie eine kleine Fichte im Blumentopf. Mehr gibts erstmal hier nicht, will Lauryanas auch nicht, der schwärmerisch von bäuerlicher Einfachheit erzählt (in Englisch) – wie so zimlich ganz viele junge Litauer aber so einen Cyber Job hat als Programierer, was aber kein Wiederspruch zur ländlichen Idylle sei.

Stimmt auch, immerhin kann man sich so ein ganzes Steinhaus samt großer Fläche drumherum schon für läppische 16.000 Euro kaufen, dem Einwohnerschwund sei dank purzeln die Preise für Haus und Hof auf dem litauischen Land um die Wette in Richtung unten…
Auch hier im Dorf stehen viele Häuser leer, verfallen, besonders die nicht so langlebigen Holzhäuser. Die sind weniger zeitgemäß heute, gammeln landesweit vor sich hin, oder haben Glück einen aktiven Besitzer zu beherbergen, der sie dann knallbunt anstreicht und es von laut bellenden Kötern bewachen lässt (besonders wenn Wanderwagen sich nähern…)

Hunger hab ich jetzt und gedulde mich beharrlich bis Lauryanas anfängt was zu kochen. Ich wollte schon was einkaufen gehen, da der Magen heftig Alarm macht, doch mein Gastgeber beruhigt mich…. ich dusche und reinige mich, lege das nasse Zelt lose in einem Nebenzimmer zum auslüften.
Es riecht komisch; Prost Mahlzeit, es gibt „Grains“… mit einen kleinen Eimer voller eingelegter Kirschen. Der deftig verwöhnte Wanderhunger muss also mit weißen, gekochten Weizenbrei + Kirschpudding heute über die Nacht kommen.
…. Essen was auf den Tisch kommt.

Wanderleben = iß alles Leben.

Bilder: Der Ort Žiežmariai, die alte Synagoge aus Holz fristet heute als Ruine ihr dasein, so wie viele Holzhäuser im Ort, Weizenbrei, (…) Gastgeber Lauryanas (beim fast unmöglichen Versuch das Handy in einen Ast zu klemmen, damit es per Selbstauslöser das weitere Bild macht) und ich hinter und vor seinem neu gekauften Eigenheim.

Abseits der Autobahn auf dem „Camino Lituano“

Hey, coole Idee: „Der litauische Weg“ in Spanisch… kommt deshalb so trendig rüber weil als alter Jakobspilger die ganze Zeit so ein „Camino-Gefühl“ mitwandert.

Camino heißt Weg, und all meine Pläne zur umwanderung der Welt durch möglichst viele Länder bekommt so nochmal ein spezielles Feedback, eine Seele, ja teils einen Kult der sich einfach übertragen lässt: Laufe durch die Welt und nenne Dein Werk: Camino Terrestris, oder „Weltweg“.

So im Großen.

Im kleinen aber sind all die nationalen Etappen jeweils eigene Projekte; so gehe ich nun den Baltischen Weg durch drei Länder, von dem allein 400 km auf den „Camino Lituano“ fallen.

Krass: Der „Camino Russa“ (Russischer Weg) hat schlappe 13.000 Kilometer.

(Bilder: Auf der Sandstraße nahe der Autobahn zwischen Vilnius und Kaunas, kurz vor dem Tagesziel Žiežmarai, da staunt sogar der Storch…)

Elektrenai (13.000 Einwohner)

Der „Camino Lituano“ – mein Weltweg, abgeleitet vom spanischen noch in (ewiger) Erinnerung am Jokobsweg, führt mich über den Fluss Neris nach Vievis, dann weiter in die Monostadt Elektrenai, die tatsächlich wegen des großen Stromwerkes dort, so heißt.

1962 gegründet, war Elektrenai eine von viele „Monostädte“ der damaligen Sowjetunion; „Mono“ für „einzig“, also nur dem einem Zweck wegen gegründet, ohne jegliche andere Grundlagen oder Industrien.

Zwei Kilometer zieht sich der monotone Haufen voller Plattenbauten entlang des Nordufers eines Stausees. Drüben dann die hohen Türme des besagten Kraftwerks, zugleich auch ein Wahzeichen der Stadt, dagegen prangt weit abseits am Rand der kuriosen Siedlung die nicht minder seltsame Betonkirche. Als hätten Außerirdische hier ihr Raumschiff vergessen, wirkt das erst 1996 fertiggestellte Ding anziehend; ich wanderte einen weiten Schlenker um das Teil von der Nähe zu bestaunen, kein Mensch hier. Kalt und Grau alles wie einst die atheistischen Grundlagen zur Schaffung dieser Stadt,

aber protzig und gewichtig diese Demonstration neuer Gläubigkeit in neuen Zeiten ….

Weit hinter der Monostadt campe ich irgendwo zwischen all den endlosen Rohren des Kraftwerks auf dem Rasen. Weit und breit kein Mensch hier…. es bleibt ruhig, die Sonne guckt auch mal raus.

(Bilder: Eindrücke von Elektrenai, die nicht unbedingt elektrisieren …)

Ätzendes Wetter schlägt zurück.

Jajajaja, war ja klar…
Genau nach dem wärmsten, schönsten Tag wirds mal wieder komplett grausam; die ganze Nacht war dermaßen regnerisch, dass ich dachte, der Sumpf läuft über…verschlingt mich.

Bin noch über Umwege aus dem Morast zurück zur Straße gekommen, und wieder volles Programm: Regenponscho, Plastikplanen und Gummiüberzüge im Dauereinsatz, dann noch entlang einer grausamen Straße voller 40 Tonner die oft keinen Meter weichen vom mikrigen Seitenstreifen, – mein Platz auf der Straße für 10 km….

(Bild: Megastress auch noch mit Baustelle…. wenigstens gibts hier mal ein paar Meter Platz und Abstand zum LKWahnsinn….)

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