35 km später…

lande ich hier an der schönen Memel.

Alytus, das Tagesziel hatte ich erreichen können, dank Sonnenwetter und Eiswind, ca zwei Stunden vor dem Dunkelwerden. Wie immer rein in den Wald, der gleich an der Stadt grenzt, für einen Rundgang bin ich jetzt zu faul… muss noch das Lager aufbauen und einen Platz dafür finden; tief rein in den Wald stoße ich dann an eine natürliche Grenze: Plötzlich stehe ich vor der Memel, der längste Fluss des Landes, der hier aus Weißrussland kommend sich bis zur Ostsee schlängelt.

Auf eine Art Feuerstelle mit flachem Untergrund, baue ich das Zelt auf.

Heute mal Hotel Wanderleben mit Flussblick.

(Bilder: Matte aufpumpen am Abend. Schokoladenfrühstück mit Eiswasser am nächsten Morgen)

Identität aus Holz.

… Glaube ich hier in Serijai zu erkennen.

Das immernoch junge Land ist nach wie vor auf der Suche nach seiner Identität. In Gesellschaft mit den anderen beiden Ländern Lettland und Estland, versuchen diese ehemals immer wieder fremdbestimmten Nationen ihre kulturelle Eigenständigkeit zu unterstreichen; sich einer Baltischen Identität zu besinnen, was sprachlich schonmal recht gut klappt: Das litauische ist eines der „chinesischen Sprachen“ Europas, was total fremd, anders und sehr eigen rüberkommt.

Über die Geschichte dieses kleinen Landes im weiten nordosten Europas, muss ich noch demnächst einiges erfahren, Zeit dazu dürfte wohl da sein; ca 400 Kilometer zieht sich mein Weltweg durch Litauen.

Auffällig sind schon jetzt diese hölzernen Gebilde die hier und da mal ein nues Merkmal der ansonsten schlichten Landschaft bilden.

Weites, schönes Land im Sonneschein.

Och, welch Freud, welch Traum: Sonne blendet mich beim Blick zum weiten Horizont des sanft hügeligen Ostlandes unter meinen Füßen.
Da macht der eiskalte Wind im zuvor eingecremten Gesicht nicht mehr viel….

Die Richtung geht erstmal zur Haupstadt, die aber noch 140 km weit weg liegt, zuvor nehme ich Alytus ins Visier, hoffe aber bald im Dorf Seirijai (uff, was für Namen die Orte hier haben) ein WiFi zu finden.

Mitnichten, außer malerische, wenn auch sehr einfache Holzhäuser und zimlich langweilige Bauten aus weißen, verwitterten Ziegeln, finde ich nur einen Kaufladen im 1000 Einwohnerort, füller erstmal richtig die Vorräte und zahle satte 14 Euro für allerdings ganz viele Sachen.

Endlich trinke ich so viel ich will an Handwarmen Wasser, muss nicht mehr nippen weil die Eiskälte die Zähne zum schmerzen bringen. Fülle mich ab und esse wie ein litauischer Elefant….. so komme ich mir zumindest vor..

image

Training für Russland…

Eiskälte ist dann der Preis für die ausnahmsweise regenfreie, klare Nacht; minus fünf, minus acht…. lese ich nächtens während ich mindestens fünfmal aufwache.

Irgendwo zieht es immer am Leib; mal am Knie, mal die Lenden, mal sind es die Schultern die eisgekühlt nach mehr Wärme rufen.

Klappt aber, die Schlafsäcke tune ich noch mit Pullovern und packe die Jacke noch hinein, bin ja nur 62 kg, da ist noch Platz unter den Decken und es wird tatsächlich kuschelig.

Am nächsten Tag haftet sogar Eis am Schlafsack, da wo mein Atem ihn anfeuchtet. Eis überall; erst feucht noch von den plädderigen Vortagen, fror das Zelt nun komplett ein. Raureif überall; schwer zieht sich auch der Reißverschluss. Hab Angst den kaputt zu machen, so stark muss ich ziehen…. 
Zwölf Stunden Nacht: Das macht durstig. Aber Bullshit, ich hatte vergessen das Wasser mit ins Zelt unterm Schlafsack zu packen; jetzt ist es komplett gefrohren, ein wahrer Eisblock in der Pulle.

Aber ausgeschlafen und etwas gesättigt von steinharter Schokolade macht die Aussicht auf ein Ende des ewigen Grau, des ständigen Regenterrors, alles wieder wett.

(Bilder: Gemütlichkeit im Frost. Trinkwasser wird zum Eisblock)

Nicht aufgeben.

Heißt es als ich am liebsten mit vollen Bauch hier und jetzt in der „Kavine“ zusammensacke und einfach für immer bleiben will.

Doch der Weg ruft, besser gesagt die Straße mit ihren pampigen Sand-Seitenstreifen der wohl für die nächsten zig Kilometer  angesagt ist….

Kaum auszuhalten der stramme Seitenwind, zusätzlich noch voller Schnee der aber sofort taut wenn er auf die Jacke kommt. Regenjacke wieder an, und das laute geflatter im Sturm mindestens noch 10 Kilometer ertragen. Ich muss wenigstens etwas weiterkommen.

Läppische sechs Kilometer schaffe ich dann… und kehre platt und matt in den Sichtschutz hinten auf der Weide, bestehend aus lockeren Strauchwerk ein.

Jaaa? Die Sonne kommt? Scheine ich wohl zu träumen ?!

Das Zelt steht, ca 100 Meter abseits der recht ruhigen Straße… und überhaupt ist es hier ruhig; Litauen ist anders als noch in Polen, ganz anders; es ist viel leerer, viel entspannter als noch in den polnischen Provinzen, wo seelenlose Streudörfer, ohne Kern, ohne sichtbaren Zusammenhang das ganze, große Land mit Häuser zupflastern.

Und überhaupt: Hier in Litauen sind die Häuser auch viel einfacher, wohl so wie in Polen noch vor zwei Jahrzehnten…. schlicht und klein. Ja vielleicht auch etwas ärmlich.

Deftig & billig…

Tolle Entdeckung: Wie eine Fata Morgana in der Verlorenheit des Schneesturms, sehe ich eine „Kavine“, sowas wie Kantine…. kehre instinktiv ein um eigentlich nur irgendwo im Warmen zu landen.

Volltreffer: Hier gibts echt gut Futter wie bei Mutter auf dem Tisch; dicke Schnitzel, Suppe (roter Boretsch) und ein kelbriges Süßgetränk alles zusammen für 3,20 €.

Das tut gut, wie ein Staubsauger vertilge ich jede Portion…. und ahne dass es eine gute Zeit hier in Litauen sein wird; nicht wirklich teurer als im Supermarkt ist es hier, alles in Euro, kein Wechsel, kein Umrechnen.

image

27 Jahre später ….

Spaziere ich einfach über diese Grenze, damals bis 1989 noch das schwer zu passierende Tor zum finsteren Riesenreich Sowjetunion. Heute einfach nur grüne Grenze innerhal der ach so verteufelten europäischen Idee…. jaja, mann kanns keinem Recht machen, oder hattetst Du nicht Daheim die AFD gewählt ?

Wieder tut es so gut einen ehemals so brisanten Ort einfach so zu durchlaufen….  der auch heute ansonsten kaum irgendwie historisch pompös aufgemacht wirkt.

Also rollt der Wanderwagen jetzt auf GUS Territorium; Der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ nach dem Zerfall des Super-Riesen-Reichs der Sowjets.
Ich krieg mich garnicht ein; über 22 Millionen Quadratkilometer waren damals von hier bis Japan, bis vor Alaska (Nordamerika) oder China – oder Afghanistan im Süden dieses Mega Land groß.
Ein fettes Gegengewicht zu Amerika und alles was westliche Welt war. Jetzt, einfach weg…. Geschichte, … und ein kleiner Wanderwagen mit ebenfalls kleinem Wanderer dabbei, der obendrauf auch noch siegen will: Über  all die Weiten dieser Ländereien die erhaben jetzt GUS heißen, selbstständig sind und z.B. wie Litauen, Lettland und Estland ein Teil des Weltwanderweges darstellen, der für die kommenden Monate angesagt ist.

Litauen, das erste Land liegt vor mir … ca 400 km sind hier wanderteschnisch geplant, ein Land fast so groß wie Bayern (65.000 Quadrat-km) und mit 2,88 Mio Einwohnern viel dünner besiedelt.

Naja, und Palemn wachsen hier wohl auch nicht … ein strammer Wind pustet mir scharf ins Gesicht, Schnee fliegt zusätlich um die kalten Ohren.

Flucht in die Touristen-Info hinter der Grenze ist angesagt, und erstmal für 3,50 € eine genaue Landkarte beschaffen. Dann verquatsche ich mich noch mit dieser so jungen Frau die mein Wanderleben so toll findet, bald nach London ziehen will und später weiter in die USA, erzählt sie mir…. Wanderleben, Auswandern, weg sein…. das ist schon recht litauisch sagt sie noch etwas resigniert.
„A Country without Future“ … Land ohne Zukunft (?) …. ich wundere mich: Die erste Touristen Info, wo man mir sagt: Ich betrete ein Land ohne Zukunft ….

Ok, das war schon persönlich und kein offizielles Programm.
Aber dazu später mehr… zuerst will ich selbst ins Land eintreten „ohne Zukunft“ … und schauen was ich finde, ob das Mädchen recht hat …