Pinien, Pinien, Pinien…

Jakobsweg32Seit ich Irun, die letzte spanische (oder besser: baskische) Stadt vor der französischen Grenze verlassen hatte, bin ich auf die Hilfe privater Gastgeber angewiesen, da es hier in Frankreich nicht diese günstigen „Albergen“ gibt, wie die Pilgerherbergen mit Schlafsaal in Spanien genannt werden. Dank „Couchsurfing“, dem Gastfreundschaftsnetzwerk im Internet, fand ich in jeder Stadt auf dem so langen französischen Jakobsweg ein warmes, gemütliches Haus, wo ich willkommen war.

Der Pilgerstar als Hahn im Korb

Jakobsweg31Einen lieben Gruß!  Oder „Bon Courage“, wie man hier in Frankreich sagt, wenn ein Jakobspilger durch die Lande zieht!

Mit Verspätung melde ich mich jetzt aus Lille, gar nicht mehr so weit weg von meinem großen Endziel, meiner Heimat.Santiago de Compostela ist nun 2000 km entfernt und nur noch 400 km, dann bin ich wieder da. Mittlerweile träume ich in den Nächten, oft im Zelt, in Gästezimmern oder in den Städten bei Gastgebern auf dem Sofa von Zuhause, was mir wie eine ferne Welt aus einem vorherigen Leben vorkommt; ich war noch nie so lange von Zuhause weg. Doch wirkliches Heimweh habe ich immer noch nicht. Irgendwie komme ich auch gar nicht dazu: Ständig fragen mich hier in Frankreich die Leute alles Mögliche, laden mich auf einen Kaffee ein oder gar in ihr Haus zum Übernachten. Was ist das für ein tolles, gastfreundliches Land!

Paul und die Skulptur am Strand von Gijon

db_jakobsweg_spanien_2985Mama und mein Lebensgefährte Georg-Edmond waren zu Besuch, während ich Santander erreichte. Für mich war das eine Art Urlaub, da nun für eine Woche kein Wandern, sondern mit dem Mietauto „Das Beste von Nordspanien“ angesagt war – und das mit den mir wichtigsten Menschen überhaupt. Wir fuhren sogar bis ins 500 Kilometer weit gelegene Santiago, um es meiner Mutter zu zeigen, Anschließend besuchten wir Oviedo und Strände der Region, bis Mama wieder zurück musste und ich mit Georg ein paar Tage weitermachte. Der Abschied tat weh, Georg musste heim, wir sehen uns vielleicht in Paris.

Jetzt schaue ich mal wieder zurück, hier in Irun, vor der Grenze nach Frankreich, und bin unglaublich fasziniert von der letzten Etappe dieses Küstenweges im Baskenland. Dem nach Unabhängigkeit strebenden Landstrich im Nordosten Spaniens, wo der Küstenweg nach Santiago anfängt bzw. für mich aufhört. Dieses wilde, bergige Land mit seinen ruppigen, aber seltsam freundlichen Menschen und ihrer komischen, aber hochinteressanten Sprache, ist das Ende dieser wunderschönen Etappe längs des Meeres Nordspaniens. Dieses Baskenland ist etwas Besonderes. Es ist nicht mehr Spanien.

Noch 1570 Kilometer, dann bin ich wieder daheim.

Rotwein und Steinstrand – schön…

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Der Jakobsweg verläuft hier oft abseits der Küste, führt über steile Berge etwas weiter landeinwärts, was mir und meinem Wanderwagen sehr zu schaffen machte. Deshalb hielt ich es für legitim, über die Landstraßen zu wandern. Die nutzten auch die Wagners aus Suderwich, die zwar nicht als Jakobspilger, sondern als Reisende im Wohnmobil die Schönheiten Nordspaniens erkundeten und mich – ich mag es kaum glauben – zufällig getroffen haben. Dort erkannten sie mich, als ich mit meinem Reisekinderwagen den Straßenrand schmückte und gleichzeitig etwas ungläubig das Kennzeichen RE betrachtete. „Bist du nicht der aus der Zeitung?“ Ich erkannte, dass ich schon eine, wenn auch nur kleine Berühmtheit geworden sein musste.

Und die Sonne brannte am Strand

db_SAM_20095So auch in Burela, einer kleinen Stadt voller Hochhäuser mit 9000 Einwohnern am Meer. Hier musste ich einen Notstopp einlegen, da ein heftiges Durchfallprobem immer schlimmer wurde. In der charmanten „Mison Pedra“ bezog ich für kleines Geld ein schönes Zimmer, das Restaurant erinnerte mich sehr an ein Lokal in Recklinghausen-Süd (gemeint ist die „Taverne“). Der Durchfall war schnell weg, der Arzt sehr nett und ich wanderte weiter und erreichte Asturien. Eine Provinz, in der schon immer Bergbau betrieben wurde – das Ruhrgebiet Spaniens, wenn man so will.

Abendlicher Blick aus dem Zelt in Galizien

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Ich konnte Santiago  und Finisterre am Meer nach Norden verlassen, über kleine Landstraßen, vorbei an zauberhaften Stränden des tiefblauen Atlantiks, bis zur Großstadt A Coruña, wo mich Marcus empfangen hat, ein Bekannter aus dem Gastfreundschaftsnetz „Couch-Surfing“. In seiner Wohnung in einem Hochhaus mit 20 Stockwerken – typisch für A Coruña – fand ich ein Quartier. Natürlich kostenlos. Danach wanderte ich den englischen Weg nach Ferrol. Wer aus England nach Santiago wollte, kam früher mit dem Schiff, um sich den weiten Weg durch das ungeliebte Frankreich zu sparen. Auch in Ferrol fand ich mit Alejandro einen tollen Gastgeber, der mich aufnahm. Selbst in Kleinstädten ist es üblich, dass gut 40 Prozent der Einwohner in fünf- bis zwölfstöckigen Gebäude wohnen, was wirklich auffällig ist.

Am Ende der Welt…

db_SAM_18095Weiter nach Westen gehts nicht mehr, der Jakobsweg trifft hier in Finisterre aufs Meer

Nur einer auf diesem großen Platz mit seinen vielen Menschen macht dennoch weiter: Ich.

Hier in Finisterre , wo die allerletzten Pilger den Jakobsweg beenden, habe ich erst Halbzeit und drehe nun Richtung Osten, entlang das spanischen Küstenwegs. Immer das Meer zu meiner Linken, 2600 Kilometer zurück nach Recklinghausen in der Heimat…  Das ist noch der Jakobsweg, so lange, bis die Haustür wieder erreicht ist. Auch wenn in der heutigen Zeit die Kultur des Zurückgehens fast vergessen scheint.

Ich schaue auf auf unsere Cent-Münzen; auf den spanischen Ein, Zwei und Fünf-Cent Münzen findet sich eine Ansicht der Kathedrale von Santiago. Wer etwas im Portemonnaie wühlt, findet bestimmt eine solche Münze und hegt beim Betrachten vielleicht auch mal den vorsichtigen Gedanken, diesen wundervollen Weg mit all seinen Abenteuern zu wagen …

Endlich angekommen in Santiago

db_SAM_17015„Ultreia!“ – das ist der traditionelle Gruß für Pilger, die fern der Heimat den weiten Weg gehen. „Ultreia“ heißt so viel wie „ankommen“. Ja, angekommen bin ich nun auch, hier und jetzt am „Ende der Welt“ am Kap Finisterre, 93 Kilometer hinter Santiago, 2700 Kilometer von Recklinghausen entfernt. Hier, an dieser Stelle, einer Landzunge, die weit ins Meer ragt, endet der Jakobsweg endgültig.

Im Mittelalter glaubte man, am westlichsten Punkt Europas das Ende der Welt zu erblicken. Mittlerweile hat sich das Ganze „etwas“ geändert, denn weiter westlich wurde Amerika entdeckt.

Aber dennoch spürte auch ich diesen unwiderstehlichen Reiz, nach all den Monaten der Wanderung übers endlos weite Land das Meer zu sehen.

Da bin ich nun angekommen.

Das Wichtigste aber war Santiago, der Ort, wo der Legende nach vor 1200 Jahren das Grab des Apostels Jakobus gefunden wurde. Hier blieb ich drei Tage, bekam meine Pilgerurkunde und traf viele Bekanntschaften des Weges wieder, meist in der wundervollen großen Kathedrale, wo sich die ganze Welt trifft. Die Umarmung des goldenen Jakobus – das Zentrum dieser Kirche – bedeutet die geistige Vollendung des Jakobsweges. In Santiago anzukommen, ist schon ein unglaubliches Gefühl. Ich saß vor der großen Kathedrale auf diesen Platz und erinnerte mich an vergangene Tage…

Paul ist immer dabei

db_jens_wagen_1985Ich denke an Estefano, der mich ins Aussteigerdorf Matavenero einlud. Tief in den wilden Bergen Ost-Kastilliens blieb ich auch über Nacht.

Am Cruz de Ferro, einen Ort, an dem Jakobspilger seit 1000 Jahren einen Stein ablegen. Mittlerweile ist hier ein Berg über 15 Meter hoher Berg entstanden Auf all diesen Wegen mit vielen Abenteuern war ich nie allein: Entweder ging oder saß ich mit anderen Wanderern zusammen oder freute mich über Paul, meinem ständigen Begleiter, den ich noch gar nicht vorgestellt habe: Paul ist ein Kissen, das wie ein riesiger Marienkäfer aussieht. Ich sollte eigentlich darauf schlafen. Allerdings: Nachdem ich nur zweimal meinen Kopf auf Paul ablegte, schauten mich seine treuen Augen dermaßen eindrücklich an, dass ich erkannte: Du bist mehr als nur ein Kissen, mit Dir möchte ich nun diesen Weg schaffen. Du gibst mir irgendwie Kraft und Zuversicht.

Burgos und seine Kathedrale: Wow!

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An die Stadt Burgos, deren monumentale Kirche mich sogar mehr beeindruckt hat als jene in Santiago.

Ich dachte an das Dörfchen Hontanas, wo ich still und heimlich meinen 34. Geburtstag feierte, dort, wo die unendlich weite, flache Meseta anfängt mit ihren so langen Pfaden durchs ausgedörrte, seltsam schöne Land.

In Leon dann, der langersehnten Großstadt inmitten dieser Weiten, verlor ich meinen Weggefährten Frank bei einer nächtlichen Zechtour aus den Augen und traf ihn erst 400 Kilometer weiter, am Strand wieder.

Sogar krank wurde ich, als hinter Leon schlechtes Brunnenwasser mir gründlich den Magen verdarb. Zwei Tage musste ich pausieren.