Bist du nicht der aus der Zeitung?

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Seit März bin ich auf „Schusters Rappen“ unterwegs. Der Extremwanderer läuft auf dem Jakobsweg – und zwar hin und zurück. Für die Recklinghäuser Zeitung habe ich ab und zu von meinen Erlebnissen berichtet. Und so schallte es auf einmal:

„Bist du nicht der aus der Zeitung?“ Da traf ich doch tatsächlich auf dem Jakobsweg in Nordspanien auf Familie Wagner aus Suderwich

Nun ist es wieder an der Zeit, der lieben Heimat einen Bericht zu erstatten. Ein Lebenszeichen von einem der wohl längsten Jakobswege, der jemals versucht wurde. Jenseits von Santiago, dem großen Ziel. Nun bin ich auf dem Rückweg Richtung Osten. Wo ich die nächsten 850 Kilometer entlang der spanischen Küste, immer das Meer zu meiner Linken und die Berge der Cordillera Cantabrica zu meiner Rechten, entlangziehe. Jetzt weile ich in Irun, dem letzten spanischen Ort vor der Grenze Frankreichs, trinke in den Bars Rotwein und genieße das tolle Preis-Leistungs-Verhältnis dieses faszinierenden Landes, das ich die letzten drei Monate durchwandert habe. Aktuell ist es der Küstenweg („Camino de la Costa“), der sogar noch älter ist als die allseits bekannte „Kerkeling-Route“ im Landesinneren, die ich zuvor auch benutzte, um Santiago zu erreichen.

Ein einfach schöner Weg

db_jens_wagen_0945Auch wenn es für den armen Norden Spaniens eine Chance ist, wirtschaftlich zu überleben, verliert der alte Jakobsweg so seinen Charme. Die vielen immer zahlreicher werdenden Herbergen und die betonierten Wanderwege, Souvenirstände und Eintrittspreise schaffen ein komfortables Flair touristischen Wohlbehagens. Und dennoch, ich fühle ihn noch, den alten Weg. Laufe seit Tagen durch diese wunderschöne Landschaft der Castilla, dem eigentlichen Herzland Spaniens, sehe genau hin und dann spüre ich ihn wieder: Den Zauber des Jakobsweges.

Weiten, Weizen und einsame Bäume

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La Rioja heißt die nächste Provinz. Sie ist ein Meer aus Weinreben, das bedeutendste Weinbaugebiet Spaniens. Der Jakobsweg führt hier über sanfte Hügel immer Richtung Westen, ist gut ausgebaut und sehr gut besucht; tausende Wanderer sorgen – zumindest hier in Spanien – dafür, dass es nie wirklich einsam wird. Der spanische Jakobsweg ist auf seinen 800 km schon längst nicht mehr ein Ort besinnlicher Einsamkeit auf unendlichen Weiten. Er ist vielmehr ein soziales Abenteuer voller Begegnungen, eine Art Völkerwanderung von Aussteigern auf Zeit, die Abstand vom alltäglichen Zuhause suchen. Ein Traum, dem immer mehr folgen. So viele mittlerweile, dass er schon zum Trend zu entfremden droht. Aus Pilgern werden mehr und mehr Touristen, die mit ihrem Geld den alten Weg mit seiner gelebten Tradition der Einfachheit und Anspruchslosigkeit und der Verwiesenheit auf christliche Nächstenliebe überschwemmen.

Nicht so leicht, vom rechten Weg abzukommen…

db_jens_wagen_0705Den Pass  auf 1400 Metern erkämpfte ich mit Mühe, schob mein Gepäck durch die kalte Höhenluft, trank das saubere Wasser der kargen Berge und erreichte die gigantische Festung Roncesvalles, eine 700 Jahre alte Abtei. Hier finden Hunderte von Jakobspilger täglich ein Nachtquartier. Weiter ging es durch die Berge und Wälder von Navarra, der stolzen Provinz in Spaniens Nordosten. Deren  Hauptstadt Pamplona ist bekannt für seine alljährliche Stierhatz. Am weiteren  Weg sprudelt aus einem Brunnen der köstliche Irache, ein kräftiger Rotwein, um den müden Pilger zu erfrischen. Leider brach bald unter der unaufhörlichen Belastung meinem Wanderwagen ein Rad ab. Findige Mechaniker konnten glücklicherweise schnell den Schaden beheben, ohne eine Gegenleistung zu verlangen! Welch ein sympathisches Land!

Endlich in Spanien…

db_jens_wagen_0455Liebe Grüße aus dem sonnigen Spanien… obgleich auch hier das Wetter nicht immer so sommerlich aussieht, wie man es für Spanien glauben mag. Ab und zu ist es wolkig mit sanften Einlagen milden Sommerregens. Doch schnell ist die Sonne wieder da und dann bin wirklich froh, hier zu sein, da ja das, was man Sommer nennt, in der lieben Heimat wohl dieses Jahr auszufallen scheint…. Aber ich schicke euch Sonne, Sonne vom spanischen Jakobsweg. Heute am 21. Juni, einen Tag vor meinem 34. Geburtstag, bin ich schon 96 Tage auf Wanderschaft, habe über 2100 Kilometer geschafft und somit 2,5 Millionen Schritte auf den Sohlen, die wohl die nächsten 500 Kilometer bis Santiago noch aushalten werden. Dann schaue ich mal, wo es neue Schuhe gibt, die mich zurück nach Recklinghausen bringen …

Auch über die Pyrenäen hält mein Wagen durch…

db_jens_wagen_8365Der Weg ist ja noch sooo weit. Nun aber pausiere ich mit meinem Weggefährten Frank (den ich, wie schon berichtet, gut 1000 km zuvor in Frankreich traf) in Burgos, einer großen Stadt: typisch spanisch, laut, viel Verkehr, Hochhäuser und mit der schönsten Kathedrale des gesamten Jakobsweges. Mit diesem Bauwerk kann in seiner Fülle, Schönheit und Perfektion wohl nur der Dom zu Aachen mithalten, ja Aachen, das ich vor Monaten auf diesem wundervollen Weg durchwandert habe, um dann die gewaltigen Weiten Frankreichs zu bezwingen, bis ich endlich weit in der Ferne die Gipfel der Pyrenäen sah, auf deren Höhe sich die Grenze zu Spanien befindet.

Ein Königreich für ein Bad im Fluss

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Dennoch änderte sich alles schnell: in drei Stunden stiegen wir fast 1000 Höhenmeter hinab, erreichten das wunderschöne, mittelalterliche Dorf St.-Côme-d’Olt und versuchten uns zu erholen. Leider hatte ich mich aber schlimm erkältet, schleppte mich mit den anderen weiter über wunderschöne Pfade durch liebliches Weideland, und fanden spät abends, nach ca. 30 bis 40 km Fußmarsch, einen Schlafplatz. Ich erholte mich wegen der Anstrengung zwar nur langsam, kam aber dennoch gut voran und vergesse nie, dieses herrliche Land entlang des Weges zu bewundern. Wir erreichten Decazeville, und mussten uns nun auch von unseren lieb gewonnenen Weggefährtin Cis verabschieden. Sie möchte langsamer gehen und irgendwie auch wieder allein sein. Ich verstand das, konnte aber dennoch die Tränen des Abschied nicht zurückhalten. Zu weit sind wir gemeinsam diesen Weg gegangen…

Jetzt, eine Woche später, sitze ich mit Frank in Condom, einer Kleinstadt mit diesem lustigen Namen und schauen auf spannende Tage zurück. Noch 200 km und wir erreichen Saint-Jean-Pied-de-Port, dem nächsten Ziel dieser Großetappe und dem Tor zum Paradies: Denn dann erreiche ich endlich Spanien.