Ticket ins weiteste Land der Welt …

Jaaaa, ich hab’s: Das begehrte Russland Visum, erstmal für ganze drei Monate.

Ein Anfang für den größten Flächenstaat der Welt mit seiner dramatischen Visapolitik. Sollte ich den Weg bis ende August schaffen, will mir die Deutsch – Russische Gesellschaft in Berlin sogar ein Jahresvisum organisieren.
Sozusagen ein „Diplomatenschein“ für mein Wanderprojekt „Deutsch-Russischer Freundschaftslauf“ 13.000 km zu Fuß von St. Peterburg bis Vladivostok (!)

Georg btachte es mir mit aus Deutschland hier nach Riga, zuvor war das Visum noch in Arbeit über das Konsulat, alles durchgezogen von dieser genialen Reiseagentur „Zent Reisen“ aus Wesel (NRW) – die sehr kompetent an die Sache gingen.

Lediglich erlaubt ein Touristen Visum nur drei Wochen in Russland zu bleiben. Für mich als Wanderer eine winzige Zeit im Riesenland ….

(Bild: Visum und gleich schonmal den passenden Haarschnitt für RUSSLAND. – Ab Juni darf ich dort hin -)

Satte 165 Euro kostete das Papier im Pass. Eine deftige Investition meiner letzten Mittel. Deshalb eben um so wichtiger:

Wer schenkt mir Kilometer? 50 Cent pro Kilometer – soweit die Füße tragen –

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Bye Riga ….

Mann, war ich jetzt lang hier.
Lettlands Haupstadt hat mich ganz schön gefesselt; zum einen als mittelmäßige Metropole, zum anderen voller sozialer Erlebnisse und Erinnerungen; erst das geniale Hostel, dann kurz der Stadtwald, dann das Apartment mit Georg und all das gute Essen mit ihm, leckeres Guinness vom Faß, Burgunder und ein dramatisches Ballett von Prokofiev „Romeo und Julia“ in der lettischen Staatsoper. Welch Kontraste im Wanderleben!

Heute verabschieden wir uns, ich von Georg und von Riga.

Nach Norden geht jetzt der „Weltweg“ weiter, bis hoch nach Tallin, der Haupstadt Estlands. Danach straff nach Osten, St. Peterburg entgegen, RUSSLAND entgegen.

Vorerst aber noch ca 100 km über Lettisches, plattes Land nahe des Meeres. Hoffe das Wetter stellt sich mal auf Normalität ein. Der Frühling hier oben im Baltikum soll nämlich die trockenste Jahreszeit sein…. (der Blick aus dem Fenster momentan: Regen.)

Jaja, ich sitze nun hier, noch im Zimmer und schreibe, muss noch Facebook machen, noch Couchsurfing verwalten (Gastgeber in Estland auftreiben) und, und…. wärend Freund Georg um die Häuser zieht, sich die fantastischen Jugenstil-Fassaden anguckt.
Dann kommt der Abschied: Tränenalarm; Georg wird auch weit gehen…. ab Mai läuft mein 65 jähriger, bester Freund den gesamten Jakobsweg von Trier nach Santiago (Spanien) – wohl alles in über drei Monaten Wanderzeit.
Ein starkes Erlebnis: „In die Rente wandern“ wolle er,  jetzt kurz nach seiner Verrentung als Pianist läuft er ins neue Leben.

Was gäbe es da besseres als einen Gang nach Santiago, stimme ich ihm zu.

Es geht weiter, und über Riga könnte ich noch tonnenweise schreiben, zeige noch einige Bilder der letzten Tage in der Stadt ….

Freund Georg: Luxus und Sonneschein ins Wanderleben …

Kalte Speisen, Kartoffelsalate, Dosenfleisch und Schokoriegel … Alltag einer armen Kirchenmaus auf Wanderschaft.

Doch wenn ER kommt, kommen andere Zeiten; Georg aus Trier, ein Fan des Wanderlebens , spendiert mir ein fantastisches Intermezzo; feines Essen, köstliche Weine.

Vier Tage teleportiert er mich in eine andere Welt …. immernoch hier in Riga, und dennoch so weit abseits der Hostels und Mc Donalds …

Die schrumpfenden Hauptstädte.

Weltweit gibt es nur 10 Hauptstädte die entweder nicht mehr wachsen, oder gar schrumpfen; Belgrad (Serbien), Chişinâu (Moldawien), Vilnius (Litauen), Sarajevo (Bosnien), und Zagreb (Kroatien) dümpeln vor sich hin, haben kaum noch Einwohnerzuwachs, wärend Budapest (Ungarn), Erivan (Armenien), Tiflis (Georgien), Athen (Griechenland), und eben Riga (Lettland) schrumpfen; 910.000 Menschen lebten noch vor 26 Jahren (1990) in der lettischen Haupstadt, fast eine Millionenmetropole damals. Doch Auswanderung und eine katastrophale Überalterung machen nicht nur Riga sondern ganz Lettland zu schaffen.

Heute gibt es ganze 650.000 Letten weniger im Land als noch 1990, Riga, die prächtige Großstadt am Dünaufluss, mit Ostseehafen und großem touristischen Aufkommen zieht wiederum kaum Zuwanderer die bleiben an.
Zu wenig verdient man hier, ca 500 bis 650 € sind hier die einfachen Löhne der breiten Masse; Arbeiter, Gastronomie, und Normalangestellte kommen selten über 700€ netto im Monat.
Auskömmlich wäre das hier zwar schon, die Mieten in den alten, schrulligen, aber so ansehnlichen Jugendstil Wohnblöcken sind erschwinglich, viel steht leer oder brach.
Hier die glänzenden Kneipen, feine Kopfsteinpflaster und beleuchtete Prachtfassaden historischer Schönheit, dort Zerfall und Bruchbuden, denkmalgeschützt, aber wertlos. Solche Kontraste stehen für den Dauerzustand einer Großstadt, der als neues Phänomen einer ansonsten überall wachsenden, expandierenden Welt herausfordernd für die Zukunft.

Wie schon in Litauen ziehen zu viele gut ausgebildete Letten für immer weg. Kinder sind ebenfalls zu wenige da, zumindest um all die vielen Alten zu kompensieren. So steht Riga vor der Aufgabe einen Rückbau richtig zu verwalten, das kleinerwerden kompetent zu gestalten und nicht wie überall auf der Welt nur auf Wachstum zu setzen.

Von heute 764.000 auf 580.000 reduziert sich Rigas Bevölkerung wohl bis zum Jahr 2050, immernoch groß wird sie dann sein, aber eben auch weiterhin entspannt, nicht so überhitzt und voll wie all die anderen Städte selbst in Westeuropa.

Also eine Chance, wenns mal weniger wird.

Viel verändern allerdings würde sich im inneren Stadtbild allerdings nicht, 800 Jahre ist diese Stadt zu dem gewachsen, was ihr zeitloses Bild noch in 40 Jahren sein wird.
Aus 71 Metern von der hohen Petrikirche, des ersten Wahrzeichens Rigas, mache ich tolle Bilder. Dank Georg der die viel zu hohen Eintrittspreise (9€ p.P) übernimmt, kann ich hier oben stehen.

Der Blick reicht bis über die Stadtgrenzen hinaus; die großen Markthallen sowie der zweithöchste Fernsehturm Europas, weit draußen mit 368 Metern eben nur drei Meter höher als jener in Berlin, sind nahe des Dünauflusses gut zu erkennen.

Die Brücken und die andere Stadtseite mit neuen Großbauten markieren den westlichen Teil Rigas, abseits der mittelalterlichen Kernstadt getrennt durch den ungewöhnlich breiten Fluss.

Faulheit, Trägheit, Lotterleben, Cinnamon Sally Backpackers Hostel.

Riga ( 764.000 Einwohner )

Nix da Couchsurfen.
Anna knallte tatsächlich kurz vor Riga noch rein, dass sie mich nicht aufnehmen kann; Die Flatmate räumt das Zimmer nicht, ….. sagt sie mir nun jetzt per Mail in Facebook welches ich nichts ahnend eher aus Langeweile bei einer Cola Pause vor Riga aufmachte.

Na toll, also doch ab ins Hostel, Portemonaie ausquetschen. Geld ausgeben…. gut und schlecht zugleich, da Hostels eigentlich ganz nett sind und wie sogar in diesem Fall: Im Cinnamon Sally fühle ich sofort 120% Hostelfeeling pur; alles quakt auf English in jeglichem Akzent.
Wohnzimmer – International total; Australier, Amerikaner, viele Deutsche, Holländer, ein Inder aus Kerala, und: Vor allem Martin, der olle Schwede, ständig unter Strom, schon in die Jahre gekommen als eine Art Stammgast hier im Cinnamon.

Martin ist ein absolutes Original; macht hier Urlaub wie auf Mallorca, schon morgens ganz früh zischt die erste 0,5 Liter Dose frischen Gerstensaftes, was munter weitere 15 Stunden von Bestand ist.

Als DJ spielt er am Hostel Laptop alte Rock Klassiker der frühen 70er. Hasst Politikdebatten und liebt Frauen, lebt in einer Kaschemme ungefähr in der Nähe von Göteborg, Südwestschweden.
Dort arbeitet er wieder bis genug Munition in der Geldbörse zum verschießen gegen die Leberlappen zusammen ist, nimmt den Billig-Jet rüber auf die andere Ostsee Seite, auf nach Riga wo alles so wahnsinnig viel billiger ist. Auf ins quirlige Cinnamon Hostel, wo Martin mittlerweile zur kleinen Legende etablierte.

Auch Wanderwagen & Wandersmann kommen natürlich gut an. So gern wäre ich noch geblieben, muss schweren Herzens aber heute nach zwei Tagen das Hostel verlassen; kein Geld mehr, keine Party mehr, auf an den Stadtrand wo wieder Wälder anfangen, eine Nacht muss ich dort draußen noch machen bevor Freund Georg aus Trier für mich ein Zimmer sponsort.
Erst morgen (Samstag) kann ich da rein.

Wie gern hätte ich heut noch mit Martin und Co gefeiert…..

Wanderleben = Entbehrungsleben.

(Bilder: Im besten Hostel der Stadt, 19 € für zwei Nächte, ganz viel Sozialleben. Gratis Frühstück: Frische Waffeln mit Nutella, Martin aus Schweden: Immer mit Bierdose oder Frauen zugange..)

Endlich Riiiiiiiiiiiiga.

Schon vor drei Tagen angekommen, immernoch faul und träge.

Riga, die große Stadt die ja so gern Metropole sein will, aber nie die Million Einwohnermarke knacken konnte, ist nun um einen temporären Einwohner reicher: Mich, der nach 36 km Fußmarsch, meist an langweiligen, dramatisch überlaufenden Fernstraßen, müde ist und etwas stolz über all die Siege gegen die mich schneidenden 40 Tonnern, wo nur Zentimeter über Leben und Tod entscheiden.

Riga grüßt mit großen Lettern den Wanderer.

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