Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (14.11.2015) Stadt: Kalisch …. (100.000 Einwohner)

Gefunden: Das Cafe Calisia, der Treffpunkt wo ich erst allein bin, groß, voller alter Möbel wie ein gewaltiges Wohnzimmer, mal garnicht so im Über-Style, ein unglaublich toller Ort zum bleiben. Hier soll ich Jacek anrufen, schalte aber eine Weile ab, bestelle für 1,10€ einen dicken Eisbecher, und komme erstmal an. Doch die junge Bedienerin scheint mich zu erkennen, erzählt im wackeligen Englisch, dass ihr “Boss” kein Unbekannter hier sei; www.Calisia.pl lautet ihre Platform, eine Art lokales Medienunternehmen rund um Kalisch mit Meldungen und Geschichten aus der Stadt. Na, da bin ich aber gerade richtig hier, und schon ist die ganze Familie am Tisch versammelt; Papa Jacek, Mama Elzbieta, Tochter Marta (17) Sohn Jan (15) wollen alle den Wandersmann sehen. So erahne ich dass mal wieder der Wander-Zeitplan völlig durcheinander gerät; eigentlich wollte ich schon morgen wieder weiter, aber mitnichten, durch die Blume bekomme ich mit, dass es eher unhöflich sei gleich wieder zu verschwinden. Außerdem will ich das auch mittlerweile garnicht mehr. Ich fühle mich so wohl und wilkommen hier. Ich bleibe….

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (14.11.2015) Stadt: Kalisch …. (100.000 Einwohner)

Wie in jeder polnischen Stadt finde ich das Zentrum als Quadrat vor, alt bepflastert, gottseidank nicht als Parkplatz missbraucht, und im Falle einer größeren Stadt, mit einem Zentralbau in der Mitte. Hier praktischerweise das weiße Rathaus, ein berühmter, historischer Bau. Die Mitte der wohl ältesten Stadt im Lande. Eher zufällig gerate ich hier her, als auf der Landkarte der Weg quer durch Polens Mitte entlang seiner großen Städte in planung war. Kalisch war da eigentlich nur eine Zwischenstation, erkenne jetzt aber wie wichtig der Ort kommt; bereits vor 1865 Jahren vom berühmten, griechischen Geografen Claudius Ptolmäus erwähnt, als “Calisia” war hier schon lang vor der sesshaftigkeit der slawischen Polonen, eine germanische Siedlung. Zu dieser Zeit war das weite Gebiet voller Wälder und als östlichstes Areal germanischer Stämme bekannt, weil ein alter Handelspfad von Süden bis zum Baltischen Meer (Ostsee) führte, der bereits im römischen Reich, allerdings fern abseits seines damaligen Machteinflusses bekannt war. Vandalen waren es damals, die hier siedelten, ein wüstes, germanisches Volk, eher verstreut in Holzbauten lebend, als Jäger in den Wäldern, bis zur Zeit der Völkerwanderung vor und zu Beginn des Frühmittelalters, (vor 1680 bis 1440 Jahren) als allmählich Westslaven von Süden vordrangen, – eben jene Polonen die viel später hier ganz große Kultur entwickelten, Polen vor 1100 Jahren gründeten, zuerst – wie auch in Deutschland, viele kleine Reiche hatten, so wie auch jenes Herzogtum wo im Jahr 1193 Kalisch bereits Hauptstadt wurde, viel später dann in Grenzlage zu den großen Reichen geriet; Russland lag genau in Sichtweite, während die Stadt mal polnisch, mal deutsch (preußisch) war. Die Mittelalterliche Stadt erfuhr allerdings ihre größte und einzigste Komplettzerstörung im ersten Weltkrieg (1914) während sie im zweiten Weltkrieg nahezu unversehrt von Osten eingenommen wurde. Deshalb finde ich hier keine alt-historischen Gebäude mehr, lediglich restaurierte Fundamente von Mauer und Schlossanlagen kann man bei dem Streifzug der inneren Stadt erahnen. Heute ist Kalisch eine moderne, mittlere Stadt die über ihre Textilindustrie seit Anfang 1800 ihre Größe auf heute über 100.000 Einwohner puschen konnte. Ihre Randlage zwischen den Reichen war nicht immer ungünstig; während die Textilien an Bedeutung schon vor Jahrzehnten abnahm, bleibt Kalisch als Klaviermetropole erhalten; früher gab es hier eine gewaltige Klavierfabrik, heute nur eine Ruine, aber immernoch mit der einzigen Schule für Klavierbau in Europa…. das erzählt mir zumindest Jacek, ein weltgewandter Kosmopolit, der mir im perfekten Englisch noch so einiges zu erzählen weiß: Mein Gastgeber hier in Kalisch.

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (14.11.2015) Stadt: Kalisz….. (100.000 Einwohner)

Neue Stadt, neues Glück; Kalisch (polnisch – Kalisz) als Zwischenziel bis Lodsch, ladet mich zum Couchsurfen ein. Schneller als gedacht erreiche ich die Stadt in meinem Sprint nach sagenhaften 36 km in sieben Stunden Wanderzeit. Bunter Kohl, passend zur umgebenden Landschaft in der gerade voll die Kohlernte läuft, passt da gut ins Bild, auch wenn man den nicht essen kann.

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (14.11.2015)

Pause: Ich bin gut in der Zeit, aber auch super hungrig. Bei den Preisen hier gönne ich mir gern eine tolle, heiße Suppe. Mitnichten gelingt der Versuch irgendwas von dem Kauderwelsch auf der knappen Speisekarte erfolgreich zu ordern; wieder ist es eine schlimme Pansensuppe die mich schon seit dem Jakobsweg immer wieder mal verfolgt. Bin so frei und bestelle noch einen Hamburger, der aber auch echt grottig kommt… zum Glück kostet der aber nur fünf Zloty, also 1,10 €, die Pansensuppe auch, – brauche ich noch nicht einmal zahlen, weil unangerührt von meiner… WiFi dazu, Couchsurfing machen schnell, Jacek kontaktieren, ihm schreiben das ich es heute packe bis Kalisz, dann die Tageschau überfliegen, einen Schock ertragen über Paris…. ich sacke danieder in meiner Tankstellenkantine mitten fernab im tiefsten Polen, wieder ein Weltbild maximal erschüttert, ein Weltbild der freien, einen Menschheit, wovon ich allmählich Abschied nehmen muss. Aber dazu ein anderes mal mehr. Noch 15 Kilometer bis Kalisz -dann bin ich in zwei Tagen über 70 km gewalkt !(Bild: Wohl bekommts; die liebe Pansensuppe hat mich mal wieder)

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (14.11.2015)

33 Kilometer wurden gestern geschafft. Nix tut weh, die Beine gehen von selbst und ich freue mich über die erfolgreiche Strategie, gleich im Morgengrauen los zu machen, konsequent das Lager zu räumen und sich in die Kilometer zu stürzen. Unterwegs fällt eine andere Bauart auf; die Häuser werden noch einfacher je tiefer ich ins Polnische Land vordringe. Noch ganz normal verputzt fielen die vielen, vielen Neu-Eigenheime nahe der deutschen Grenze bis hinter Poznan nicht sonderlich auf. Nur das in den letzten 15 Jahren eine Eigenheim-Explosion Polen-weit stattfindet, überrascht schon. Und auch da wo die Leute ärmer scheinen, wir und wurde gebaut ohne Ende; ohne Putz im blanken Stein stehen hier viele Häuser fertig, ja, schön soll es auch sein; rote Ziegel und graue Betonsteine wechseln zumindest farblich das preisgünstige Schema ab. Baugrund werfen einem die Dörfer nahezu hinterher, der ist echt billig hier. Zu groß ist die realistische Sorge vor Schrumpfkuren, da niedrige Kinderzahlen, Überalterung und starke Konkurrenz der Städte die Dörfer bedrohen. Noch passt es, da in Polen die meisten ein Dorfleben bevorzugen, aber natürlich mit allem Schnikschnak, Autos vom Halbstarken bis zur Oma müssen alle haben, große Gärten – nahezu immer mit Hund, gehören dazu und überhaupt erlebt das Land einen Wohlstandsausbruch wie nie in seiner Geschichte. Auch wenn viele unglaublich viel haben, sind hier die ganz einfachen offensichtlich auch in der Lage ihr eigenes Schloss zu bauen. Ungefähr 30.000 Euro (130.000 Zloty) dürfte dieses Haus auf dem Bild mit Grundstück kosten. Das erzählen mir die Leute schon gern in Hinblick auf die viermal höheren Preise im deutschen Billig-Segment. Doch wer sind diese Leute? Eher jene die offen und meist gebildet mit mir ins Gespräch kommen wollen, (im Cafe) aber nahezu nie hier draußen, z.B. wenn ich frage bei ihnen im Garten oder auf den Hof eines Bauern zu zelten. Dann überrascht mich eine große Verschlossenheit im eigentlich so gastfreundlichen Land, nicht weil die Leute hier blöd drauf sind, sondern erstens die Sprachbarierre immernoch heftig ist, (mein Polnisch dürfte ohnehin erst nach 8000 km funktionieren…) und in einer neuen Kultur des Eigenbesitzes mehr Misstrauen und Privatheit dem Fremden entgegengebracht werden.

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015) Ort: Kwilen

Und zünftig soll es letztlich sein; noch eine Stunde Tageslicht bis 16:30, dann ist’s total finster. Eine Lampe wäre ja die Lösung, nur dann sieht mich jeder das Zelt wie eine Laterne im Dunkeln. Unerkannt will ich besser bleiben mit dem Preis eben schon um fünf in die Haia zu müssen.
Wild wird dann die Nacht, Sturm und Regen setzen ein, der Wanderwagen vorm Zelt ist gut eingepackt in einer Gummiplane. In tiefster Nacht muss ich mal hervorkommen, fast nackt aus dem dicken, tiefen Daunenpolstern der Schlafsäcke um draußen nach dem rechten zu sehen, ob der Sturm nicht doch die Plane wegweht.
Mit vollem Bauch bin ich aber gut in Wärme, schlafe bei Wind und Wetter fest und lang.
Alle zwanzig Kilometer kann in den Kleinstädten genug Essen herangeschafft werden, da Kaufläden massenhaft überall sind. Mit maximal 10€ lebe ich somit perfekt. Eher acht Euro (30 – 40 Zloty) kostet die Alltagsverpflegung inklusive Caffe zwischendurch im Warmen.

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015) Ort: Kwilen im Nirgendwo

Noch eine Stunde und das Licht geht aus. In Kwilen, einem der vielen gesichtslosen Straßendörfer, schlage ich mich pünktlich zum “Feierabend” direkt hinter einer Fabrikruine am Ortsausgang, ins hohe Gras. Zum offenen Acker sieht man das Zelt, aber leer sind die Weiten und nur in der Ferne rattert ein Trecker mit Pflug bis spät in der Nacht.

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015)

Will ich voran kommen, muss ich auf die Straße; und mittlerweile gewöhne ich mich sogar an die Monster, angesichtig bis zuletzt wo nur Zentimeter manchmal zwischen mir und 45 Tonnen im Speed-Rausch trennen. Doch es passt, und ich wundere mich immernoch darüber, dass selbst auf den kleinsten Neben-Nebenstrecken so viele fette Straßenmonster reihenweise dahindonnern. Alternativ kann ich manchmal nicht ausweichen, da Wald oder Feldwege oft zu komplex oder kaum gradlienig in die Weite führen. So presse ich mich nun mehr und mehr in die Schablone einer Identität des “Road-Walkers” – hat ja auch was. Gelassenheit ist hier wichtig. Mit der Zeit und einigen tausend Kilometern kommt sowas schon von allein.

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015) Stadt: Pyzdry (3.200 Einwohner)

Peisern an der Warte heißt der Ort auf Deutsch, da auch hier vor langer Zeit alles mal zu Preußen gehörte. Jetzt in Pyzdry sehe ich eine saubere, kleinst-Stadt mit denen für Polen so typischen, Quadrat-Zentrum, einem Marktplatz umringt von Häusern jeglicher Bauart. Leider vermasselt die unschöne Entwicklung allgegenwärtiger Parkplätze jegliche Idylle die solche Plätze mal hatte. LKWs, Autos und nochmals Autos verhindern die letzten Versuche von Gemütlichkeit, z.B die kleinen Grünanlagen mit Sitzbänken in der Mitte der Freifläche. Wo ich auch stehe, ein Foto wirkt in jeder Position wie ein Report über die automobile Vielfalt unseres asphaltierten Planeten. Auf der Warta-Brücke Stadtaußwärts, gelingt mal ein kleiner Blickfang ohne buntes Blech. (Bild)

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015)

Noch ein Blick auf den Weg kurz vorm Start im Morgengrauen. Acht Stunden Licht bleiben nur dann wenn es wirklich früh los geht! Und die Tage werden noch kürzer. Eiskalt ist es, und esse steinharte Schockolade, trinke kleine Schlücke des Wassers, was so eisig ist, dass es in den Zähnen zieht. Einen Kocher habe ich leider immer noch nicht, da dieser erst noch gekauft werden muss… noch fehlt viel in der Ausstattung, ob Winterklamotten oder Camping-Gaskocher, alles steht noch auf der Liste.