Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015) – Palast Tlokinia –
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Ich lasse sie erzählen, die über 200 jährigen Eichen am Palast Tlokinia, die sind hier wohl das älteste und haben somit schon einiges gesehen; 1919 erbaut, einst als Landgut etwas abseits der florierenden Stadt Kalisch, die direkt nach der nahezu Komplettzerstörung sich im Neuaufbau befand, war es damals der Hauptwohnsitz der einflussreichen Familie Chrystowski. Jahrzehntelang hatte das Haus namenhafte Gäste bewirtet, war Stätte von Kulturtreffen und Familienfeiern, aber auch dramatische Zeiten unter den Russen nach dem zweiten Weltkrieg erlebt. Erst kürzlich im Jahr 2010, nach Eigentümerwechsel, wurde der Palast grundlegend saniert, und seit 2012 ist es offiziell das Palast-Tlokinia-Restaurant-Hotel. Tlokinia bezieht sich auf die Dorfschaft nebenan. ….. Also ein echtes Schmuckstückchen in jeder Hinsicht….

(Wer kann mich sehen? Düster das Licht, heiter die Stimmung bei den alten Eichen von Tlokinia)

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015)

In die Ferne? Weiterkommen….? Erst über die dröhnende Haupt-Ausfallstraße durch ewige Baustellen im Dauerkampf hunderter 40 Tonner raus aus der Stadt, eingehüllt im Gummi meines Regenponchos. Dann endlich links raus ins Ländliche Grau, einfach nur die Weite spühren, die (jetzt ruhige) Straße unter den Sohlen wieder Gewohnheit werden lassen…. ein freudiger Gruß holt mich aus der Lethargie, “Hey, i seen you today in Internet, soooo great what you do” – ich lache, grüße zurück, also bin ich offenbar jetzt dank Calisia-TV recht bekannt, und wenig später kommt er wieder der dicke BMW, der junge Fahrer lädt mich ein zum Tee…. muss aber unbedingt weiter, sage ich höflich, so allmählich muss es schon was werden mit der Strecke. Als dann aber noch eine komplette Essenseinladung folgt, + Hotelzimmer, alles für lau, lenke ich ein. Ja, auch noch dieser Palast von eben den ich beim vorbeigehen sah, eben dieses feudale Haus umgeben von parkartigem Gartenbau. Luxus inmitten ländlicher Einöde der mir in jeglicher Hinsicht fern sei. …….. wie betrunken lasse ich alles passieren, lasse den Wanderwagen ins geräumige Innern eines hoteleigenen Betriebsfahrzeugs hieven, lasse alles passieren….. glaube zu träumen, finde mich wieder in diesen Gewölben exklusiver Gastlichkeit, eingeladen, wilkommen und ….. ja, wie ein Staatsgast von Frau Silvia K. erstmal ins feine Restaurant geführt…. die 26 jährige, professionelle Angestellte in leitender Position, nimmt sich Zeit für mich, und ich stelle fest in der skurilen Situation zu sein, nicht zu wissen wer von uns momentan mehr begeistert ist über den jeweils anderen….. (Bild: Wo bin ich hier? Was passiert heute noch?)

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen. (16.11.2015) Stadt: Kalisch

Düster und Finster war es mal im Mittelalter; so wie auch das Wetter heute. Aber sehen wollte ich das noch unbedingt, das alte Holzdorf, ca drei Kilometer abseits der Innenstadt, genau an der Stelle wo einst die erste Siedlung sein musste; vor über zwei Jahrtausenden. Die ältesten Spuren aber zeugen vom Frühmittelalter, sowie Fundamentspuren einer ersten Kirche von vor ca 1000 Jahren. Sozusagen die Keimzelle von Kalisch wo heute, eher als Museumsdorf, einige Holzhäuser originalgetreu nachgebaut sind. Schon recht aufwändig sind die Blockhüttenartigen Holzgebäude, teils mit Reetdach, Ställen und Werkstätten. Jedenfalls sahen so die besseren Häuser damals im Hochmittelalter so aus, während die eEnfachen und Armen schon in wesentlich primitiveren Verschlägen lebten. Somit ist das Dorf eher ein Schaustück hochmittelalterlicher “Villen” und weniger authentisch in dörflicher Mischbebauung nachempfunden.

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (16.11.2015) Stadt: Kalisch ….. (100.000 Einwohner)

“Pressconference” im Jaceks Cafe Calisia nach dem Bürgermeister-Meeting, und ich glaubs nicht, zwei Radiosender (einer aus der Großstadt Poznan/Posen) eine Zeitung, sowie das Lokalfernsehen geben sich die Klinke; wieder alles vom Englischen in Polnisch übersetzt vom Moderator, stelle ich mich den Fragen. Besonders wichtig: Was ist die “Message”? Für Polen wäre das ganz klar die Freiheit hier so lang und so weit gehen zu können wie ich will. Nach all der schwierigen Geschichte zwischen unseren Ländern, nach all den unglaublichen Untaten vor erst 60 Jahren, so frei, ja in Freundschaft verbunden in diesem Land wilkommen zu sein ist ein Geschenk, eine Meisterleistung der Politik, der Versöhnung und Aufarbeitung der letzten Jahrzehnte. Sowas dürfen wir nie vergessen. ……Wanderleben und große Politik, das funktioniert offenbar gut und kommt sogar an.

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (16.11.2015) Stadt: Kalisch …. (100.000 Einwohner)

Großes Treffen mit dem Bürgermeister der Stadt Kalisch, Grzegorz Sapinski, der sich den Wandersmann mal genauer ansehen wollte; besonders stimmig finden wir den Zusammenhang der Städtefreundschaft zwischen Kalisch und Hamm in Westfalen, (Gruß an Clown Püppi) wo ich vor zwei Monaten nichts ahnend durchmarschiert bin, somit auf 820 Kilometer beide Städte verbinde. Außerdem kenne ich die chinesische Partnerstadt Nanyang, – die ansonsten selbst hier keiner kennt, wo ich fast sogar hinkomme auf meinem “Weltweg” später mal durch China. Also zu erzählen gibts genug. Jacek übersetzt ins polnische bei Tee und Mittagspause im Bürgermeisterbüro. Mein erster Auftritt auf größerem Parkett; vielleicht bald auch in Warschau beim Minister, bis zum Kreml in Moskau bei Vladimir Putin…. *träum* – der könnte mir ja ein zwei-Jahres Visum für den 10.000 Kilometer Marsch durch sein Riesenland spendieren…. Träume und Visionen, doch damit fängt ja bekanntlich alles immer an.

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (16.11.2015) Stadt: Kalisch ….. (100.000 Einwohner)

Und ich bleibe. Einen ganzen Tag Pause im sicheren Haus bei schlimmsten Regen draußen, das war gut. Heute aber ist immernoch zu tun: “Pressconference”…. hui, hört sich richtig cool an, so nennt es Jacek was für den Mittag angesagt ist. Aber zuvor schaffen wir noch den totalen Überblick: Kalisch von oben, bunt und lebendig, selbst im grausten Grau schlimmster November-Laune noch so schön ansehnlich. (Bild: Aus 60 m Höhe vom Turm des zentralen, weißen Rathauses mit Blick auf den Platz in der Stadtmitte)