Paradies & Hölle …

Echt ein Traum: Wandern bei perfekten 22 Grad, leichter Wind und einsame Straßen, der Duft von Flieder.
Mein Ziel: Der Paipussee, auf estnisch: Peipsi järv (gesprochen: „Pepsi“) – zwar nicht aus Cola, aber schon recht klarem, sauberen Wasser bestehend, breitet sich nach langer, schweißtreibender Wanderung vor mir aus.

Wie ein Meer ersteckt sich das seichte, untiefe Gewässer bis zum Horizont. Ich glaube da drüben sogar das andere Ufer zu sehen, ganz rechts wo der Blick schon fast sich in aller Weite erschöpft, sehe ich RUSSLAND.

Der Paipussee, ein lustiger Name für den fünft-größten See Europas, mal eben über sechsmal gewaltiger als der Bodensee, oder um einiges größer als der Staat Luxemburg, dehnt sich das Paipu-Gewässer auf über 3.550 Quadratkilometer aus, zwei Länder teilen sich jeweils ein Ufer.

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Ganz rechts zwischen Estland und Russland liegt der Paipus See, wo ich heut angekommen bin.

Überall Schilf, ich habe Angst gleich von tausenden Moskitos angegriffen zu werden, ziehe mich aber dennoch komplett aus, weder Mensch noch Mücke stören mein nacktes Badevergnügen, laufe weit hinaus und glaube bei Wassertiefe 0,5 Meter, ungefähr 150 m weit raus zu sein.
Im Schilf allerdings gibt’s einiges zu entdecken; seltsame Wasserinsekten wie Stabwanzen oder Wasserskorpione kitzeln meine Füße, die sich so freuen über all die Erfrischung.

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Wo ist der Wanderwagen? Bloß nicht verirren im Schilfmeer, ganz nackig auf Erkundungstour.

Im seichten Nass schaffe ich wenigstens sowas ähnliches wie ein Bad, wasche mich endlich mal komplett ab. Welch eine Wohltat im klar-braunen Peipus.
Angst vor den Monster Blutegel der mich komplett aussaugen will, stapfe ich aus dem Schlick der Bucht wieder hinaus, laufe einige Kilometer weiter und finde dann doch noch den Traumstrand wo auch letztlich das Zeltlager in aller Einsamkeit einer seiner schönsten Plätze im Wanderleben hat.
Sand, Dünengras, rauschende Kiefern im Wind, das rauschen der Wellen… wie am Meer.

Lecker: Estnisches Bier zum traditionellen Trockenfisch, die ich im Viererpack für 2,30€ mir schon mal erlauben kann. Schwer zu knabbern sind die, zäh und salzig erstmal recht anstrengend zu genießen. Überhaupt, neben den orangenen Fischeiern gibts kaum Fleisch daran. Aber jeder hier schwärmt davon …

Abends dann aber kommen sie, die lieben Mücken-Frauen und attakieren was das Zeug hält. Kein Ding, das Zelt ist zu, ich schlafe perfekt und gut geschützt.
Allerdings wache ich in einem sirren vieler hundert Moskitos wieder auf, staune wieder über das Zelt welch Schutz vor Wind und Wetter, sowie auch vor solch Plage es bietet… muss aber irgendwann da auch mal raus.

Rasieren, Schlafsäcke und Decken einpacken, dann Reißverschluss auf und los….

Dick eingemummelt mit Handschuh und je zwei Hosen, zwei Pullis + Kaputze tief ins Gesicht, so habe ich eine Chance recht unbeschadet dem insektoiden Blutrausch zu entgehen.
Klappt, Ruhe bewaren und ganz in Ruhe alles vernünftig einpacken; das permanente Sirren direkt an den Ohren stresst dennoch stark… ich beherrsche mich, sodass der Sieg mein sein könnte, wenn da nicht… wenn da nicht.

Oh je, ich muss unbedingt noch einen Klo-Gang machen …..

Was tun? Ausgerechnet jetzt die Hosen runterlassen wäre eine Katastrophe. Hab kein Mückenmittel dabei, und überlege vielleicht in den See dafür zu gehen…. aber auch da muss ich mich ja vorher ausziehen.

Also durch: Ich renne 60 Meter über den Strand, hänge den Moskitowirbel somit ab, ab ins Gebüsch, Hose runter und los, aber Sekunden nur und wieder umschwärmen mich Pechvogel unzählige Blutsauger, ich könnte sterben….
Irgendwie schaffe ich die Nummer, kassiere wohl an ein Dutzend Stiche am A…. und beruhige mich, gehe zurück, schwitze wie ein Elch in all den Klamotten, packe das Zelt ein, pflüge den Wanderwagen durch den vormals noch so paradisischen Strand…. durch den Pinienwald, begleitet von einem wahren Wirbelsturm aus Mücken ………

Meditativ ertragend, alle Register ziehend jetzt nicht schlicht die Fassung zu verlieren, gib ich endlich auf dem Asphalt angekommen, Gas…. doch schnelle Schritte nützen garnichts, der nordische Sommer ist nun komplett zur Hölle mutiert, ich kann ja nicht wegrennen, kann nichts machen…. muss da durch, muss da durch…. aber wo durch? Wo ist die Erlösung?

Acht, zehn Kilometer renne ich nassgeschwitzt über die einsame Waldstraße, ertrage die schwüle Waschküchenluft in all den dicken Klamotten und überlege was denn wäre wenn‘ s nun immer so weitergeht?

….. Doch irgendwann, irgendwann kann ich wieder atmen, bleibe stehen und nein, kein Sirren mehr…. nur ein, zwei wirre Mücken umkreisen mich müde…. was war passiert?
Sind die Viecher nicht mehr aktiv?
Oder nur im Schutze des Waldes?
Wieder an der großen Landstraße sausen die 40 Tonner an mir vorrüber, pusten heftig Staub mir ins Gesicht und ich freue mich neuerdings darüber; kein Moskito hält den Windschatten der Truks stand, werden weggeblasen….

Puhhh, wenn das Paradies zur Hölle wird ….

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Na toll: Warme 20 Grad, aber zwei Pullis + Mütze, zwei Hosen, damit die Mückenplage nicht einfach durchsticht. Handschuhe dazu lassen mich fast kollabieren, schwitze und flüchte ....

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