Estland liebt mich …

Mir ist mulmig: Bis Samstag muss ich den Wanderwagen irgendwo unterkriegen für die acht Tage die ich fort bin, da ich den natürlich nicht mit in den Flieger packen kann, ohne Weiteres.
Also hoffen dass es letztlich klappt….
Zelten auf herrlichen Wiesen am Waldrand ist wieder angesagt, wie immer mit Buffet a la Supermarket und dem Plan final den Ort Tapa zu erreichen; lediglich wenige Dörfer liegen dazwischen, abgelegen noch dazu aber es kommt wie immer anders:

Hängen bleibe ich im Dorf Jäneda, schon weil beim Wasser kaufen im „Kauplus“ (kleiner Laden) mir die Info zukommt, hier gäbe es ein Hostel.

„Hostel“ heißt international eigentlich alles was ein einfaches Gasthaus in jeglicher Weise ist. So auch hier, das schwer zu erkennende Gasthaus im Stil zweckmäßiger Backsteinarchitektur der Sowjetzeit fügt sich in einem Ensemble entsprechender Bauten der 80er Jahre ein.
Damals war der Komplex im Rahmen einer Kolchose als großes Schulzentrum für Landwirtschaft entstanden.
Heute längst zweckentfremdet, ein lohnendes Ziel meiner Hoffnung schon hier einen Parkplatz für den Wanderwagen zu finden.
Gesucht – gefunden: Schnell findet meine Story Gehör, die adrette aber freundliche Dame am Schalter spricht sogar Deutsch und mein Ansinnen erfüllt sich obendrauf noch mit einer kostenlosen Nacht hier.

Estland scheint mich offenbar zu lieben. Wieder ein „Hotel“ wieder eine gratis Nacht. Und vor allem eines haben sie hier auf dem Lande: Platz.
Der Wanderwagen steht gut und dauerhaft in einer der vielen Kammern des großen Baus. Ich bin begeistert.

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So sieht das Gasthaus in Jänada aus. Einst als Schlafkaserne für die Landwirtschaftsschule zur Sowjetzeit, heute eine Art Jugendherberge mit viel Platz.

Wieder Kontraste: Heute mal ein klassisches Zimmer im Stil alter Jugendherbergen. Es riecht irgendwie noch nach Farbe längst vergangener Anstriche, drei einfache Betten im kleinen Raum, und ich sofort erstmal platt wie eine Flunder zum Mittagschlaf die Gunst der Stunde fröhnen.

Jänada, ein 450 Einwohner Dorf mit viel Geschichte; vor 670 Jahren gegründet, war es noch kompakt mit Holzhäusern ein kleiner mittelalterlicher Marktflecken in den tiefen Weiten der baltischen Wälder.
Deutlich später, so gegen 1880 von einer deutschen Gutsfamilie ausgebaut mit großen Gehöft, was noch heute ganz deutlich das Zentrum markiert; der alte Hof mit seinem typisch estnischen Granit-Bruchstein Mauerwerk umfasst einige große Gebäude, wie den Pferdestall, oder einer alten Fabrik mit Kamin.
Der alte Pferdestall ist heute ein Gasthof mit rustikaler Küche und gutem Bier vom Fass.
Das Guthaus wo die Familie wohnte, heute ein Kulturzentrum mit Museum, offenen Räumen für die Dorfbewohner dürfte das Wahrzeichen von Jäneda sein, allein schon wegen seines Schlossartigen Aussehens.
Anschließend gehen die Bauwerke in die weiß, sowejet ästhetische Landwirtschaftsschule über, – heute eben ländliches Gasthaus und Konferenz sowie Hochzeitsdomizil für die weite Umgebung, bis zur Großstad Tallinn.

Eine Kirche hat übrigens Jäneda nicht. Den Sowjets war das sowieso egal damals als die Gutsfamilie enteignet den Ort verlassen musste und hier erstmal ein ganzer Tross trister Sozialbauten entstand, wo noch heute fast alle Einwohner leben.

So, geschafft: Morgen geht dann ab die Post zurück nach Tallinn, eben mit dem Zug (ein Bahnhof liegt in zwei Kilometern) und um 16 Uhr der Flieger nach Düsseldorf. HEIMATLEBEN für sechs Tage sind erstmal angesagt. Danach komme ich wieder, und weiter gehts…. immer nach Osten. Russland wartet.

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Überall droht der Zerfall in Jäneda, doch meist mit Erfolg erhalten die wenigen Bewohner ihren weitläufigen Ort vorbiltlich; weite, gemähte Rasenflächen überall, öffentliche Nutzung der alten Gebäude, und man tut was, hier, da - überall.

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