… und ich dachte das die große Stadt erstmal Pause bedeutet. Von wegen, jetzt sitze ich (ja, ich sitze!) In einer Shoppingmall mitten im Zentrum der Großmetropole, und weiß garnicht zu sagen, was ich alles nicht gesehen habe hier; Rom, New York, Paris, – St. Petersburg; passt gut dazu im Club der Super-Metropolen touristischer Überforderung, Müdigkeit, Reizüberflutung.
Schon drei Tage hier, und immernoch nicht wirklich den Überblick von all der Substanz, ob historisch oder gegenwärtig; diese Stadt ist einfach umwerfend.
1350 Quadratkilometer groß, 5,250.000 Einwohner schwer, größer also als Berlin ist Russlands führende Kulturmetropole, als nördlicheste Millionenstadt (zusammen mit Stockholm/Schweden) momentan die „weißen Nächte“ feiernd, da um Mitternacht noch fernes Tageslicht am Himmel gleißt.

Alexander, ein echter Petersburger, nimmt mich auf, wir telefonieren schon vorher und er wollte mich unbedingt abholen vom Stadtrand. Warum sollte ich den auch durch all die langweiligen Vororte spazieren, dachte er.
Aber ich lasse mir die Zeit, bleibe bei unserem Plan morgen zu treffen, schlage das Zelt im feuchten Dickicht einer urbanem Brache auf, einer der wilden Flächen mit Buschland zwischen der endlosen Einzelhausverbauung im Vor-St.Petersburg.
Regen prasselt nun wild aufs Zelt, Mücken greifen wieder wild an, doch diese eine Nacht will ich noch hier draußen verbringen, nehme mir die Zeit und wandere morgen in die gewaltige Stadt, will es mit ihrer Größe aufnehmen ….

Unglaublich, wie in Berlin… da läuft man echt stundenlang durch städtisches Einerlei, es nimmt kein Ende. Alexander wird allerdings unruhig, ruft schon zum dritten mal an und ich gib auf, lasse mich dann nun abholen….
Einige Kilometer fahren wir zu seiner Wohnung, sieben Kilometer nördlich der Innenstadt, die schon selbst in Ausdehnung einer Großstadt das Fürchten lehrt; nur drei Tage Zeit für den Giganten?
Jaja, erzähle ich dem Journalisten Alexander, dem ich schon vor Längerem auf Couchsurfing.com anschrieb, hier eben nur im „Vorbeigang“ zu versuchen die Stadt zu begreifen.
Also mal sehen was kommt, mal sehen wie kompetent mein Anspruch auf den Ort dem seinen gerecht wird ….

Die Peterstadt: Gastfreundlich, irgendwie noch ursprünglich, zumindest weniger super-touristisch als andere Städte dieser Liga, überrascht mich die Stadt mit vielen Einladungen zum Übernachten, sowie Interesse an’s Wanderleben, bekomme täglich Anfragen & Einladungen bei Couchsurfing.com …. jaaa, das tut echt gut.
…… Anderseits aber kann ich nicht allen zusagen, antworte „sorry, but i,m full“ – womit auch immer, Sozialleben, Eindrücke, Bier und Rotwein mit Alex.
Diesem widme ich natürlich gern die knappe Zeit, erzähle ihm all meine Pläne, diskutiere mit einem Einheimischen den „Camino Russa“,den Russischen Weg quer durchs Riesenland, finde somit einen Kenner seiner Heimat.

Wieder darf ich den vollen Umfang einer Russischen Seele erleben, fahre mit Alex zum Abend auf die Datscha, wo schon seine Frau wartet (und über Tage dort wohnt).
Raus, raus aus der Stadt in diese Siedlung aus Holzhäuser, jedes ein wahres Unikat, ob als abenteuerlich zusammengezimmerte Marke Eigenbau, oder als Fertighaus, stehen die „Datschen“ recht dicht beieinander, jede mit ihren Garten und nicht selten eine „Banja“ drinn, die obligatorische, hölzerne Sauna.
Hatten wir nicht mehr geschafft um 23 Uhr, die Weinseligkeit trieb mich ins Gästezimmer, ein voller Tag musste erstmal verpackt werden.
Arme Füße, von wegen Außzeit. Jetzt erst richtig: Die Stadt so weitläufig sie ist, um so unmöglicher die körperliche Erholung. Oder doch?
Warum sollich eigentlich jetzt einen auf China-Touri machen, von einer Nummer zur nächsten hetzen?
Mann erwischt sich beim Gedanken des Sightseeing-Größenwahns, und erwischt sich anderseits einer sträflichen Gelassenheit einfach mal garnichts zu tun.
Also mal wieder der goldene Weg der Mitte; sitze stundenlang in Nachbarschaft von Erimitage, oder Peter-Paul Kathedrale und tue nichts, surfe im Internet bei Cappuccino (für 1,80€) und scype mit Mama und Georg, der ebenfalls auf dem Jakobsweg fernwandert (dazu später mehr)
Erkläre meinem Gastgeber, zu seinem Entsetzen, am Abend, lediglich hier und da mal gewesen zu sein, meistens aber auf Parkbänke, Bordsteine und weichen Ledersofas in High Tech Shopping Malls gesessen zu haben.
Die Beine & Füße können einfach nicht mehr.



Jetzt an diesem Dienstag, schlurfe ich wieder durch die weiten der Boulevards, vor allem längs des prächtigen Nevsky Prospekt, der wohl berühmtesten Meile hier. Versuche die Stadt weiterhin zu begreifen, überlege hin und her ob ich Freund Georg mit einer Tour durch die weltberühmte Erimitage danke, weil er mir einen „Kulturetat“ spendete, eben um genau sowas auch bezahlen zu können.
Den weiß ich lieber in Essen und Trinken zu investieren, wenn ich nur an die Weiten denke die mich wieder um die körperliche Erholung bringen würde, ferner an die Hülle und Fülle (im wahrsten Wortsinn) des offenbar größten Museums der Welt (wie mir Alex zu berichten wusste) … ein ganzer Tag muss schon sein dafür. Oder doch wie Georg sagte, – einfach nur durchgehen, mitschwimmen, erleben wo Du bist – ….. schwere, schwere Zeiten im Wanderleben ….
Bilder, Farben, Fassaden, Menschen, Russland, St. Petersburg …. manchmal sagen Bilder mehr als 10.000 Worte:
Erst über 300 Jahre alt, einst als Gegengewicht zum damals ungeliebten Moskau von der frischen Romanov-Dynastie gegründet, schoss St. Petersburg sprichwörtlich übers Ziel hinaus, wuchs über die in einsamen Sumpfland gelegene Küstenfestung als Stadt weiter, die erstmal als neuer Hafen einen Zugang zum Meer verschaffen sollte.
Russland war dieserzeit im völligen Umbau begriffen, und sein neuer Zar, Peter der Große, lernte heimlich in England und Holland die Kunst des Schiffbaus, ließ sich begeistern von den Mächten des Westens mit all ihren neuen Kolonien, dank der Seefahrt.
Das alte Moskau musste erleben wie eine völlig neue Hauptstadt erblühte, – altrussische Zwiebeltürme waren verpönt, west-klassizistische sowie Barocke Architektur prägt bis heute noch einen der wohl weltgrößen, späthistorischen Stadtkerne, dem selbst der Größenwahn kommunistischer Beton-Gigantonomie der ursprünglichen Identität nicht schadet.
Also: Nicht Zar-Petersburg, sonder Sankt Petersburg, hatte ich vorher auch nicht gewusst, soll eben an den Apostel Petrus erinnern.

Und hätte Zar Peter Anfangs noch selbst nicht gedacht, die Hafenfestung einst zur solcher Größe zu verhelfen, konnten auch viel später die Nazis gottseidank nicht ihre Pläne zur vollvernichtung „Leningrads“ durchsetzen: 500.000 Menschen starben bei der Besetzung der Stadt 1944. Weitere drei Millionen sollten „laut Plan“ folgen.
Die Wehrmacht scheiterte, und Leningrad wurde 1991 (nach 92 Jahren) wieder St. Petersburg, ist heute größer als je zuvor, wenn auch schon seit fast hundert Jahren nicht mehr Haupstadt, mit 5,2 Mio Menschen zweitgrößte Stadt Russlands.
Und es geht noch weiter: Am Rande der Metropole wachsen sie, Hochhäuser dicht an dicht, Wohnraum für offenbar 200.000 neue Bewohner, und mehr.
Wärend die großflächig denkmalgeschützte Innenstadt frei von dominanten Wolkenkratzern ist, darf weiter Draußen eifrig hochgestapelt werden; mit 462 Metern wächst momentan der spitze Glasturm von GazProm in den Himmel, weit Abseits vom Postkartenidyll, Europas höchster Wolkenkratzer.

Und das ist sie, die saubere, sichere, ja so gut funktionierende Stadt. Kein Bettler, kein Besoffener, kein Schnorrer hat mich je auf all den Streifzügen angebettelt hier.
Als alter Berlinkenner ein krasser Vergleich: In Berlin ist es deutlich schlimmer, dort sah ich noch letzten Winter ständig irgendwelche Bettler. Wurde oft angeschnorrt dort.
Nicht aber hier im ach so gefährlichen Russland….
Gibt zu denken; ob es an den vielen Uniformierten liegt, die permanent überall zu sehen sind, bedrohlich gucken und niemals lächeln?
Noch einen Tag bleibe ich hier bevor es wieder weiter geht, treffe morgen Vladimir, den Straßenmusikanten der mir für eine Nacht Obdach gewährt.
Pilger Georg gehts wieder deutlich besser nach seinen Eskapaden mit den Füßen. Typisch Camino, typisch Jakobsweg, es tut eben überall weh, mehr und mehr…. doch irgendwann läuft es sich wieder weiter…. und ist überstanden.
Hinter Langres, mittlerweile tief im französischen Nirgendwo, läuft er dem Westen entgegen…. bei Wind und Wetter.