… in fünf Tagen. Ist gut zu schaffen, da überraschenderweise der „Highway“ – wie ihn die Leute hier nennen, echt gut ausgebaut ist, sehr breit diese Straße, natürlich total voller Schwerlast, oft noch in alter, russischer Bauart krachend an mir vorbei scheppernd, genieße ich aber den Krach mal, weil bei der Hitze (30 Grad!) die Brummis ordentlich (Fahrt)Wind machen, pusten zudem jeden Moskito hinweg, der mir zu folgen versucht.

Ich begreife eigentlich immernoch nicht wo ich bin; Russland, dieser Kontinent, ja diese Welt liegt nun vor mir. Welch Ausmaße das sind, will ich eigentlich garnicht erzählen, sonst galub ich schon selbst nicht daran, dieses Land mit den bloßen Füßen mal zu bezwingen.
Fast so groß wie der Kontinente Europa und Australien zusammen, oder 48 mal Deutschland, …. 380 mal Estland, 6840 mal Luxemburg …. ist diese Landmasse, unterteilt in 84 Einheiten, meist „Oblaste“ genannt, oder „Krai“, viele Republiken eigenständiger Kulturen, die sonst in der Welt keiner kennt.
Oder hat jemand von euch schon was von Baschkortostan gehört? Karbadino Balkarien, oder die Republik Mordwinien?

Mein Weg soll einige tausend Kilometer später auch durch „Utmurtien“ verlaufen, bis nach „Tatarstan“ wo die (muslimischen)Tataren leben, setzt sich fort durch die Republik „Burjatien“ (mal so flächengroß wie Deutschland, aber nur mit einer Mio. Einwohner) – Transbaikalien, eine jüdische Oblast usw….
Jetzt bin ich in der Oblast Leningradskaja. Genau, da wo das alte Leningrad der Kommunisten lag, was heute wieder St. Petersburg heißt.

Allein Europa: Wer weiß das Russland ganze 40% unseres Kontinents bedeckt? 40% der europäischen Landmasse sind Russisch, wie also könnte man sich ein Europa ohne Russland vorstellen?
Die gegenwärtige Politik des Westens scheint wohl weder in geographischer als auch in kultureller Hinsicht, sich dessen bewusst zu sein; Europa braucht Russland, Russland braucht Europa.
Beide sind jeweils ein Teil des anderen….
146.111.000 Menschen leben in diesem Riesenreich; Russland ist flächenmäßig das (bei weitem) größte Land der Welt, von seiner Bevölkerung jedoch nur die Nummer neun.
Auf einer dermaßen überbevölkerten Welt ist die Konkurrenz groß; China z.B. hat fast zehn mal mehr
Bewohner als Russland, oder nehmen wir Bangladesch, was der Fläche nach 114 mal in Russland Platz fände, aber mit 172 Mio Leuten, demografisch sehr viel größer ist.
Komische Welt.
Wirtschaftlich steht das Riesenreich eher im Mittelfeld, bei fast 2 Billionen Dollar BIP. (Wirtschaftsleistung) etwa gleichauf um den achten Platz ringend mit Indien, und dürfte wohl verlieren: Momentan durchlebt Russland (wieder mal) eine Kriese, erst der Ölpreisverfall, dann das Europa-Embargo (Krim-Ukraine Kriese) und der Rubel – Russlands berüchtigte Währung, nährt sich mit 1 € – zu 73,5 nahezu dem Ramsch-Niveau.
Gut für mich, (mag ich anderseits auch ungern sagen) weil meine paar Euro jetzt richtig Wert im Umtausch haben.
Das merkte ich die Tage auch auf den ersten 60 Kilometern: Mit 1050 Rubel konnte ich den alltäglichen Warenkorb mühelos bestreiten; einkaufen im Markt, wo die Tagesration (Wurst, Käse, Brot, Birnen, Schockolade, Bier, Zahnpasta) mit 620 Rubel (8,40€) viel günstiger zu Buche schlägt, als noch in Estland.

Ein Espresso an der Tankstelle für 90 Cent, mal so billig wie in Italien (wenn auch nicht ganz so lecker wie im Original)
Und ein komplettes Essen in einer der Straßenlokale für die Trucker, für sagenhafte 1,80€ einen Teller Warmes.

Bei aller Freude, die Sprachbarriere allerdings fordert maximale Diplomatie; allein im Speiselokal an der Straße enwickelt sich die ersehnte Pause zum wahren Abenteuer: Nur mit Mühe gelingt überhaupt eine Verständigung, die auch unter Mithilfe der anderen Gäste, der LKW Fahrer, die äußerlich auch als Profi-Wrestler durchgehen würden, zu verdanken ist; schon als was Besonderes ziehe ich, der offenkundig westliche Ausländer die Aufmerksamkeit auf mich.
Hier und da ertönt etwa „Fikadell“ oder „Wuurscht“ – was die rauen Gesellen eben so wissen…. und übersetzen ihre Ideen zur meiner Bestellung.
Am Ende kommt dabei eine Bulette mit Kartoffelpüree raus.
Es ist heiß in Russland, nicht nur politisch, auch auf der Straße: 30 Grad und permanent Sonne braten mir die ohnehin gegärbte Haut.
Zuerst schaffte ich die 22 Kilometer nach Kingissepp, der nächsten Stadt hinter der Grenze, durchquerte den recht großen Ort, fand sogar eine englische Bar wo ich zumindest die ersten Russlanderfahrungen hier posten konnte, sowie auf Facebook.


Dann weitere vier Kilometer schlug ich mich in den Busch, wieder verfolgt von Trillionen Mücken, was mich wieder zwang total eingepackt (zwei Pullover, Hose lang, Kapuze auf, Handschuhe an) das Zelt im Dickicht aufzuschlagen.
Nassgeschwitzt fletze ich nackt anschließend im sicheren Zelt, versuche mich mit Mineralwasser aus der Pulle und dem Lappen wenigstens etwas zu waschen.

Der nächste Tag war zwar monoton, aber schwelgte doch so in meiner Russlandeuphorie, dass 37 Kilometer am Ende des Tages dabei rauskamen.
Einige zerlotterte Dörfer durchquerte ich, immer längs dieser dröhnen Straße, die aber so wunderbar breit einfach wanderfreundlich Platz bietet.
Russland ist groß, und ich hoffe so sehr, dass seine Straßen weiterhin so großzügig ausfallen.

Die zweite Nacht war deutlich besser: Beim Dorf Chirkovitsy nehme ich mir wieder das Land was mir gefällt, ziehe 500-600 Meter abseits der Straße über einen Pfad bis zum Ende des weiten Feldes.
Blumen, Wiese und ja (!) keine Mücken hier draußen in der Weite.
Offenbar scheuen die Plageviecher das offene Land, den milden Wind hier über den kilometer großen Wiesen.

Endlich bleibt das Zelt offen, der Tisch ist reich gedeckt in der Villa Wanderleben, ich schmause und labe mich in den siebten Himmel …. ein wahrlich gerechter Lohn nach all den Kilometern ….

Wer schenkt mir Kilometer?
Russland hat wahrlich genug davon; 50 Cent pro Kilometer und das Land soll zeigen was Weite heißt…
Der Rubel ist zwar billig, aber mit aktuell 320€ im Wanderleben-Etat, immernoch zu wenig bis Kazan, dem großen Zwischenziel… das Abenteuer muss weitergehen …
Herzlichen Glückwunsch zu den ersten Zeltnächten in Russland!