“Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen. (02.11.2015)

Böhmische Dörfer..? Oder polnische Dörfer…? Oder ehemals deutsche, ja preusische Dörfer? …. Ach ich weiß auch nicht mehr, zumindest wenns geschichtlich hier in der Region Lebus mal wieder kompliziert wird. Also polnisch stimmt erstmal jetzt und hier in Stare Biscupice, einem Flecken auf der Landkarte inmitten düsterer Wälder landeinwärts…. und doch, weiter im Ortskern haben sie was gemacht; gut ausgebaut sind die Kleindörfer hier mit Gehsteigen, glatten Straßen, ja sogar großen Freizeitflächen wie Rast oder Sportplätze. Wenn da nicht die Grenzgänger wären; dank der ausufernden Motorisierung der polnischen Arbeiterklasse, findet mittlerweile viel Kapital hier sein Endziel in einem günstigen Familienhaus auf eben günstigen Grund und Boden. Polens Dörfer in (deutscher) Grenznähe sind alles andere als arm. Bin mal gespannt auf die Dörfer weiter drinnen….

“Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (01.11.2015)

*Sehnsüchtig guck* …. da ganz hinten ist Recklinghausen, meine liebe Heimat…. der Blick vom Zelt (um gerade mal 17:00 Uhr…) im Feuerrot eines dennoch eiskalten Novemeberhimmels. Die erste Frostnacht bahnt sich an, mit letztem Blick auf Deutschland: Ganz hinten erkenne ich noch die Lichter des hohen Oder-Turms in Frankfurt/Oder, hier abseits von Slubice.

“Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (01.11.2015)

Wahnsinnig viele Biersorten sind zu erkunden; zuerst das Tyskie, eine der größten Nummern am polnischen Bierhimmel versüßt mir gleich den ersten Abend im Land. Zelt aufgebaut, in Jacke und Decke eingehüllt und nun die letzten, kurzen Tageslichtmomente genießen bis die lange Nacht kommt…(Bild: 0,65 Liter: Genau das rechte Maß für den Fernwanderer!)

“Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (01.11.2015) Stadt: Slubice

Wieder mal im Busch gelandet. Nach der Aktion im Hotel-Lager – oder Lager-Hotel, wohl die beste Entscheidung. Platz ist allerdings genug hier, viele wilde, freie Wiesen mit niederen Bäumen und Sträuchern, zwischen Gewerbe und einfachen Wohnhebieten, gleich neben der dröhnenden Hauptstraße lassen mich nicht lang suchen …

“Viva Polonia” – 800 km zu Fuß durch Polen (01.11.2015) Stadt: Slubice (17.000 Einwohner)

Also: 4,20 Zloty sind 1 Euro. Ungefähr. Und schon flüchte ich entsetzt beim “Kantor” der Geldwechselstube vor unfassbarer Unfreundlichkeit einer zwar sehr gutausehenden, aber Gift-garstigen Dame hinter dem Sicherheitsglas, der es nicht schnell genug geht, bis ich all die kleinen Scheine sortiere zum wechseln. Genervt als wolle ich ihr ein Zeitungsabo andrehen faucht sie irgendwas unverständliches durch die trübe Scheibe; wilkommen in Polen, dem Land der garstigen Geschäftigkeit. Zumindest als Kunde wird man hier offensichtlich als notwendiges Übel gesehen. Als Reisender aber nicht, und frage mich durch, bekomme auf gebrochenen Deutsch Auskunft. Slubice ist wahrscheinlich alles andere als Paradebeispiel zur polnischen Mentalität, liegt der Ort ja im Grenzverkehr ganz im Zeichen zum Billig-Einkauf-Touristen auf Zigaretten oder Benzin Beutezug aus Deutschland kommend. Und somit ist man hier ja den teutonischen Besucher gewöhnt, wenn eben auch nicht im freundlichsten Sinne. Slubice ansich ist zwar sehr sauber und schön ausgebaut im innern, wirkt aber sehr wie ein Billigbasar mit all den bunten Läden die z.B. “Zigaretten, fast umsonst” anpreisen, außerdem mit meterlangen Alkoholregalen inklusive. Jaja, eine andere “Kantor-Dame” war so frei ohne Gift verspritzend mir 120 Euro in Zloty zu wechseln. Essensvorräte sind noch genug aus Deutschland im Speicher, polnisches Bier ergänze ich aber noch gern dazu. Also weiter, und raus aus dem Ort…. finde noch zentral ein drei Sterne Hotel, nix für mich…. ein Hinweis auf eine Billigabsteige führt mich zum Ortsausgang: Das “Oasis” sieht dem komplettabriss nahe aus. Ist zudem – wie alles an diesem Sonntag, geschlossen. Die lockere Türklinke hängt aus der Fassung, lässt mich aber nicht hinein… naja, auch gut so, also weiter. Fast zum ende der Siedlung, die immer schrulliger wird, kehre ich nun ins “Holiday Hotel” ein, oder eher einem Lager sollte man meinen; schon vor dem maroden Gebäude lungern schlecht gelaunte Gestalten die den Wanderwagen und mich so angucken als sei ich frisch einem UFO entstiegen. Drinnen glaube ich kaum, hier mitten im zuvor so gelobten Europa, ein so schlimmes Ding zu entdecken; am Schalter und daneben lungern noch mehr Jungs in Flipflops und ihren Handys wie auf einer Gastarbeiterbaustelle ab. WiFi scheint es wohl zu geben, doch die heisere, alte Schachtel an der Rezeption hat überhaupt keine Lust sich um Gäste zu kümmern. Zwei LKW Fahrer schimpfen auf russisch und ein Pole, offenbar aus Fankreich, hilft mir zu übersetzen, dass in einer Stunde jemand kommen würde um zu checken was Zimmermäßig so geht…. uuuuuuuuff, schnell raus hier, schnell, schnell. Es richt nach Furz und Schweiß, der gewagte Blick auf die dunklen, langen Fluren lassen schon im Vorfeld Sehnsucht aufs Zelt, tief im Walde aufkommen…. und dort will ich jetzt nur noch hin …
(Bild: Auch das ist Viva Polonia: Lager-Romantik wo nur das Wort “Hotel” daran erinnert worum es geht. – Selbst in Indien hatte ich noch nie sowas gesehen)

Viva Polonia: 800 km durch Polen (01.11.2015)

Hallo Georg, mein lieber Liebhaber großer Flüsse: Die Oder überschreite ich und denk an Dich. Aber auch an alle die es noch wissen, erlebten wie hier mal eine eisenharte Visa-Grenze jeden stoppte der hier durch wollte. Die Polen hatten zwar rechts gewählt vor kurzem, doch so hoffe ich, dass es immer so bleibt wie es heute ist. Ja, Freiheit atme ich jetzt hier über dem Wasser, Freiheit wie sie nicht selbstverständlich war und ist. Wir müssen alle aufpassen und dafür einstehen das es so bleibt, und nie vergessen was dieses vereinte Europa für uns bedeutet.

600 km zu Fuß durch Deutschland (31.11.2015) Stadt: Frankfurt an der Oder (57.000 Einwohner)

GESCHAFFT: 600 KM DURCH DIE HEIMAT SIND HINTER MIR! …Grund zur Freude, aber auch etwas Schwermut; vor mir liegt diese andere Welt, in der der ich jetzt schon verschwinden muss…. in Frankfurt/Oder wäre ich noch gern die Nacht geblieben, fand aber nichts und niemanden hier. Der Blick schweift somit hinüber auf die andere Oder-Seite: Slubice (gesprochen: Slubize) lockt mit Billigpreisen den müden Wanderer. Ob ich da mal was warmes zum schlafen finde? Die blaue Brücke ist völlig offen, keine Grenzkontrollen, kein Garnichts. Wieder ergriffen als begeisterter Europäer, schreite ich hinüber und bin dennoch Zuhause; Europa so vereint, so grenzenlos grenzenfrei macht mich zu einem stolzen Wandersmann der erhobenen Hauptes die Brücke nimmt. “Viva Polonia” meine neue Welt liegt nun vor mir, doch jetzt erstmal Geld wechseln…. denn zur Euro-Zone hatt’s noch nicht gereicht.

600 km zu Fuß durch Deutschland (01.11.2015) Stadt: Frankfurt an der Oder (57.000 Einwohner)

11 Kilometer sind es noch von Pillgram bis Frankfurt, der letzten Station auf meinem Heimat-walk gen Osten. Eigentlich entspannt mich die vielen Hilfen von Spendern und denke mir heute wohl eine Jugendherberge zu leisten; das Zelt war permanent nass, wegen des feinen Morgentaus der einfach überall eindringt, mehr noch als Regen… wegen einer echten und vor allem heißen Dusche…. die Katzenwäsche mit dem Eiswasser aus Plastikpullen reicht zwar Hygienetechnisch, macht aber minus-Grad wenig Spaß. Doch angekommen in der recht ausgedehnten Stadt, finde ich mal wieder kein Internet. Bei Mac Doof fliege ich immer aus dem Netz…. und bei Subway muss ich unbedingt was kaufen. Also trinke ich eine Cola dort und beschränke mich aufs aller nötigste; schaue bei Couchsurfing nach, und finde selbst auf Hostelworld (Billig-Bett-Finder) keine Einträge für die Stadt…. oh je, und drüben auf polnischer Seite? Auch nix, zumindest nur ab 34 €. Zu teuer. Hmmm, also dann wieder zelten? Mal sehen…. vielleicht finde ich drüben eine Absteige, kann dann endlich hier posten, couchsurfing verwalten, usw…. Frankfurt an der Oder schaue ich mir schnell an, zu sehen gibts dann doch nicht so viel, laufe die breite Karl Marx Straße hoch und runter, leiste mir einen deftigen Döner-Teller für sechs Euro, lade dort auch den Akku-Rasierer auf, denn zu laden gibt es ja immer was.
(Bild: Frankfurt hat ja seine Wolkenkratzer; somit auch jenes hier an der polnischen Grenze, 1976 erbaut und mit 89 Metern höhe ein Versuch dem “großen Frankfurt” drüben am Main, gleich zu tun. Auch wenn heute noch jede Menge Nachholbedarf besteht, dürfte dieser hohe Klotz wohl das markanteste Wahrzeichen der Stadt sein)

600 km zu Fuß durch Deutschland (01.11.2015) Dorf: Pillgram

Jaja, noch gut gestärkt bei der lieben Frau Else, gleich gegenüber vom alten Postkutschen-Weg-Zentrum, dem über 400 jährigen Lauben-Fachwerkhaus von Pillgram. Einst über 250 Jahre ein logistisches Zentrum auf der alten Poststraße zwischen Berlin und Breslau, verlor es seine Bedeutung mit der Erfindung der Eisenbahn, wurde aber glücklicherweise erhalten und hält bis heute als lokales Kultur und Eventzentrum die Stellung. Hier war auch gestern der totale Halloween los. Zudem sind einige der alten Räume auch eine Art Museum der bäuerlichen Lebensart der alten Brandenburger Dörfer. …. …. …. Frau Else, die seit den tiefsten Zeiten der DDR Lehrerin war, freut sich offenbar über meine zumindest Pilger-ähnliche Erscheinung, da hier höchstens im Sommer mal ein paar Wanderer durchkommen. Jetzt zu kalten Zeit tut der heiße Tee aber nochmal so gut und – ich weiß garnicht ob ich das eigentlich noch erzählen soll: 20 Euro drückte mir die herzliche, ältere Frau in die Hand. Pillgram: Mein liebster Ort in Brandenburg hat mich wirklich nachhaltig beeindruckt.

600 km zu Fuß durch Deutschland (01.11.2015) Dorf: Pillgram

Welch ein Zufall: Aufgenommen im Pilgerdorf Pillgram, wie der Name schon sagt, leitet sich das Ganze vom Jakobsweg ab, der hier schon vor 900 Jahren dafür sorgte dass hier eine Siedlung entstand. Zwar war schon zuvor (vor 1200 Jahren) an der Stelle ein Posten, der später slawisch wurde und wieder später seinen Namen erhielt, der so sehr aus der Rolle fällt; irgendwie weiß ich noch von Heinrich dem Pilger, einem der Gründer zu Zeiten der ersten Kirche im zwölften Jahrhundert, die Kirche die heute so unscheinbar einiges an Umgestaltungen über sich ergehen lassen musste. (Bild)