Raus ins weite Russland.

10.06.2016 (Freitag)

Da hinten ist sie, die weiteste Weite der Welt… ich liebe es so zu poesieren, muss ich doch die katastrophale Wetterlage schönreden.

Verloren wirkt dieser Kontinent, den ich jetzt im Begriff zu verlassen noch um so lieber den Rücken zeige, seine gegenwärtig verlorene Klimalage nur noch zum auswandern; Regen ohne Ende, lediglich der Mai war echt genial, (damals in Estland) wärend die Vorhersagen für den ersehnten Sommermonat Juni, bis Ultimo Grau in Grau aufzeigen.
Für Leningradskaya als auch Recklinghausen, Daheim…. sowie bei Jakobswegpilger Georg in Frankreich, hauptsache Europa, hauptsache REGEN…… keine Ahnung was los ist, wo sind die langen, heißen Sommer geblieben?

So, genug aufgeregt, zumindest macht hier das ätzende Wetter kleine Pausen und erreiche die Stadt Gatchina, 20 km außerhalb Petersburg, kurze Pause dort,  suche vergeblich diesen kleinen Zarenpalast, welchen diese 94.000 Einwohnerstadt jetzt zum 250 jährigen Bestehen feiert, und überhaupt ihrer Existenz verdankt.

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Gatchina (94.000 Einwohner) erstmal ohne Paläste, sondern neuen Hochhäusern und einem Mc Donalds zum Ortseingang. Ausnahmsweise auch mal ganz kurz Sonne zwischen all den Gewitterwolken.
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Keiner will mich fotografieren: Offensichtlich sieht der Wanderwagen so komisch, schäbig aus, dass mich hier in der Provinz fast jeder für einen "Bomsch" hält, einem Penner .... also eben selbst gemacht das Bild.

Der „Bomsch“ zieht weiter.
Komische Blicke sind mir sicher, weil irgendwie ein Landstreicher der aber dennoch zu gepflegt ausschaut,dem Provinzrussen einige Fragen aufwirft.
Ich kämpfe mich über die Kilometer, staune dass es letztlich weniger hart auf satte 42 km geht, als es ans selbst gesetzte Limit von 19:00 Uhr kommt.
Noch gut in Schuss, ohne schlimme Schwächeattacken, schiebe ich den Wanderwagen einfach abseits der schrecklichen Straße durchs hohe Gras, genieße immer mehr die Ruhe von all den tausenden LKWs, Autos …. boah, was für eine laute, extreme Hammerstraße, aber erstmal der einzige, konstante Weg ins Land hinein, Richtung Moskau.

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Ein Torfmoor, 5 Kilometer vor dem Dorf Vyra, soll diesen Abend mein Schlafzimmer sein.
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Und wieder reichlich Belohnung für all die Kilometer...

12.06.2016
So schön der Abend am Zelt auch war, die permanenten Grauwolken am Horizont machen die Nacht zur Regenhölle, morgens ziehe ich alle Register um möglichst trocken das Lager in den Wanderwagen zu zaubern.
Zaubern ist vielleicht nicht abwägig; jeder Handgriff muss sitzen, alles erstmal im Zelt einpacken, zusammenlegen und schrittweise in den Wagen schaffen, immer zak, zak, damit der permanente, auf keinen Fall endende Niederschlag zuviel erwischt und alles nass macht. Das wäre eine Katastrophe.

Eine volle Stunde später, nach der Entkernung des Zeltes von innen, stehe ich in kompletter Regenmontur da, atme tief durch und ab durchs hohe, nasse Gras ….
Noch halten die GoreTex Schuhe von Meindl, falle aber beim überqueren des Grabens zwischen Feld und Straße um, weil der Wagen war doch zu schwer beim wuchten darüber.
Die ganze Hose, herrlich trocken zuvor, ist nun voller Schlamm, schnell zieht die Nasskälte durch den hochwertigen Stoff… und ertrage es ..

Gottseidank nur 5 km…
Ich bin aufgeregt: Eine Reporterin aus Petersburg will mich treffen.
Dank Handy + russischer Telefonummer verabredete ich mich schon gestern mit ihr. Vyra, ein Punkt auf meiner Landkarte wäre der Ort zur Zeit.
Dort finde ich gleich dieses Holzhaus, flüchte heilfroh hinein und bestelle wild alles was warm und lecker ist….

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In Vyra, (1000 Einwohner?) rette ich mich in dieses Lokal.

Insgesamt schlemmere ich ein Frühstück, eine Cola, eine Soljanka (deftige Suppe mit Wurst) sowie Frikadellen mit Kartoffeln für nur fünf Euro.
Lisa (27) kommt,  dabei Artjom (21) (bestimmt falsch geschrieben wieder den Namen..) den Fotografen, beide aus der Metropole Petersburg, wollen mehr über den „Deutsch Russischen Freundschaftsweg“ wissen.
Vermittelt vom alten Journalisten Hasen Alexander, bei dem ich ja cochsurfen war, löchern mich die Jung-Journalisten über das Wanderleben.

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Lisa fragt nach meinen Russischkenntnissen. Peinlich: Ich kann immernoch nicht einmal bis 10 zählen....

Lisa fragt:

„Warum ausgerechnet durch Russland?“

  • Weil ich das größte Land der Welt und diese große Kultur als ganz besondere Herrausforderung sehe.

„Was kannst Du denn so auf Russisch?“

  • Hmm, „Pivo“ …. fällt mir auf anhieb ein.

„Warum ausgerechnet zu Fuß?“

  • Ich liebe das langsame, viel Zeit in wenig Geschwindigkeit zu verbringen.

„Was sagt Deine Familie dazu, dass Du so lang fort bist?“

  • Mama ist meine halbe Welt, und das weiß sie. Aber nicht nur deshalb ist sie für das Wanderleben, auch eben weil es mein Lebensglück bedeutet, und das ist ihr oberstes Gebot.
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Noch viele Fragen und gespannt was in den Zeitungen der Oblast so dabei rauskommt...

Mehr als drei Stunden warte ich im Holzhaus, der Regen hat endlich eine längere Pause eingelegt, ich sehe zu weiterzukommen; 27 km sind heute auf der Karte angezeigt, die ich schaffen muss.
Weit reicht der Frieden nicht… böse Wolken blasen zuerst kalt-feuchten Wind entgegen, dann geht einfach nur die Hölle los ….

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Erst 10 km einigermaßen geschafft, und dann steht mir die Hölle bevor.....

Blitze schlagen gleich nebenan im Wald ein, ganze Wellen von Starkregengüssen lassen mich nur einige Meter weit sehen….. es hört auch nicht mehr auf, die Straße gleicht einem Fluss, ……schlimmer noch, die LKWs rasen durch die Pfützen, und alles kriege ich mit…. doch dank der perfekten Ausrüstung bleibt (fast) alles trocken….

Nach weiteren 10 km gebe ich dann doch auf, weil lediglich – und das reicht, die Schuhe komplett durch sind.
Alles ist gut, alles trocken, der Ponscho leistet perfekte Arbeit, aber eben die Füße, sowie Beine sind fertig. Schwappend in den Schuhen biege ich irgendwann auf ein Acker ab, schmeiße das Vorzelt auf, hänge das (trockene) Innenzelt ein und schleudere alles hinein was nötig ist, versiegele den Wanderwagen draußen schnell mit der Gummiplane, ziehe den triefenden Ponscho aus, klemme ihn zwischen die Zeltwende, sowie die klatschnassen Schuhe & Socken.
Halbnackt, aber alles trocken baue ich mich und das Schlafgemach in aller, aller Ruhe auf.
Es prasselt, ich glaube immer hysterischer…. hält das so ein Zelt überhaupt aus so lang?
Hab ja schon viel erlebt, aber sowas nur einmal damals in Nordspanien; das Zelt kollabierte damals und die Matratze schwomm nur noch in der Pampe.

Wilde, nasseTage im Urlaubsparadies Russland…. (seufz)

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Gefangen im (gemütlichen) Zelt; 1,5 Liter Bier und reichlich zu Essen sind hoffentlich ausreichend um den Dauer-Regenguss zu überstehen. Hier habe ich auch alle Zeit um jetzt diesen Beitrag zu schreiben. Stunde um Stunde ...

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