Zu Fuß bis Lenin…

Moskau ( 16.000.000 Mio Einwohner ) 13.07.2016

Drei Tage Moskau sind alles andere als Erholung, die ich eigentlich nötig hätte.
Zu sehr latsche ich mir die ohnehin geschundenen Füße ab in dieser so weitläufigen Stadt, kann mich aber glücklich schätzen diesmal bei Gastgeber Evgheni im Nordwesten der Stadt, ca 10 km vom Zentrum entfernt, untergekommen zu sein.
Allerdings arbeitet er soviel, dass wir uns nur ganz kurz Morgens und Abends sehen… aber heut Abend wollen wir uns treffen auf das obligatorische Hauptstadt-Guinness vom Fass. Eine wichtige Wanderleben-Tradition.
Deshalb dann mal später mehr über ihn.

Gestern war ich noch im modernen Moskau unterwegs, erkundete die Kultur der Shopping-Mall und zak, ein ganzer Tag war wieder vorbei.
Höchste Zeit also heute, am vorletzten Tag, Genosse Lenin einen Besuch abzustatten; Der liegt ja bekanntlich in seiner Panzerglasgruft, der Öffentlichkeit zugänglich, was dann eine gute Stunde Anstehen bedeutet.
Aber bei aller Abneigung meinerseits gegenüber touristischer Massen-Hotspots, sehe ich das beim lieben Wladimir Lenin nicht so, fühle mich seltsam angezogen von dieser kuriosen Schau..

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Ein kurzes Spiel; nur 30 Sekunden umlafe ich im bedächtigen Gehschritt zur Hälfte den seit 92 Jahren hier balsamierten Lenin. Bild: (c) PA/akg

Logischerweise strenges Fotografierverbot hier an diesem so kühlen, unheimlichen Ort, und überhaupt, immer wieder stand und steht zur Debatte den großen Führer von einst, entgültig zu beerdigen. Zuletzt war es Boris Jelzin in den 90ern der mit diesem Vorhaben scheiterte.
Zu sehr eingefahren nach all den Jahren (Lenin verstarb 1923) ist der Kult seiner „schlafenden Anwesenheit“ im Kreml. Doch mittlerweile zeigen Umfragen im Land, das die Mehrheit der Russen ihren alten Lenin seine verdiente Ruhe unter der Erde gönnen.

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Direkt am Roten Platz: Das Lenin Mausoleum, öffentlich und kostenlos zugänglich.
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Tja, so kanns gehen: Stalin veranlasste gleich selbst neben Lenin heroisch aufgebahrt zu werden, was dann 1953 nach seinem Tode auch geschah, doch sein seeliger Diktatorkult währte nur kurz in aller Herrlichkeit feiner Balsamierungskünste; der nächste Chef im Kreml, Nikita Chruschtschow, ließ Stalins Leiche gleich hinter dem Mausoleum einbuddeln. (Ganz links im Bild, sein Grab)

Jaja, von Recklinghausen bis durch Lenins kühles Schlafzimmer trugen mich die müden Füße bisher, beeinduckt ob in eigener Sache, oder auch in historischen Dimensionen; die schwüle Sommerwärme ertrage ich um so mehr mit Fassung voller Energie das alles hier zu verstehen.
Leider – oder auch zum Glück, versperren die meterdicken, roten Mauern den größten Teil des Kremls. Dort stehen gleich drei  wichtige, goldverzierte Kirchen, sowie die verschachtelten Regierungspaläste von Zar Putin, die ich hinter all dem historischen Mauerwerk nur ansatzweise erkenne.

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Den Kreml (= Festungsanlage) bildlich zu fassen ist nicht ganz einfach; wärend die roten Mauern mit ihren Wehrtürmen den ältesten, historischen Teils der Moskauer Keimzelle umfassen, liegt gleich daneben, markiert von der weltberühmten Basilius Kathedrale, der Rote Platz als "offener Teil" des Kreml - Esembles.

Moskau hatte sich damals einfach durchgesetzt, maßgeblich genau vor 869 Jahren, zur Zeit der vielen kleinen Reiche in diesem Gebiet, die natürlich wild miteinander streitend auch noch fremdbeherrscht von einer Mongolischen Besatzung alles Andere als einig waren.
Bis eben ein Juri von Susdal mit seiner historischen Einladung “ Kommt doch zu mir nach Moskau“ die umgebenen Fürstentümer in einem Gelage von drei Tagen überzeugte, zusammen ein russisches Reich zu bilden.
Das war auch nötig, denn nur so gelang ein stärkerer Wiederstand gegen die „Goldene Horde“ jene Mongolen-Besatzer die bis heute noch in der historischen Schuld stehen, Russland im gesamten Hochmittelalter an jeglicher Entwicklung behindert zu haben.

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Mit der historischen "Einladung nach Moskau" von Juri von Susdal, von 1147, besteht bis heute dieser Gründungsmythos von Moskau. Zu dieser Zeit war auf dem Gebiet des Kremls eine für damals typische, hölzerne Wehranlage ansässig.

Wie die Geschichte(n) so ihren Lauf nahmen, hatte die Siedlung Moskau auf grund ihrer zentralen Lage zwischen all den anderen, teils rivalisierenden Städten und Siedlungen einen strategischen Vorteil: Handelswege von Süd nach Nord, aber vor allem in Ost-West Richtung, machten den Fürsten die Entscheidung leichter an den Moskwa Fluss die Anlage auzubauen.
Tver, die bescheidene Unbekannte heutzutage, war ebenfalls als heftiger Konkurrent fast zur selben Macht gelangt, wurde aber von Moskau eingenommen. Interessant: Wäre damals ein anderer schlauer Fürst zur anderen Zeit eben im nahen Tver zugegen gewesen, würde heute dort die russische 16 Million Haupstadt sein, und Moskau dessen Satelit…

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Die von mir vergessene Kirche, oh je... einst auch noch unter Stalin (1931) in die Luft gejagt, weil er ein Symbol der vorangegangenen Zaren Macht in seinem neuen Reich nicht duldete.
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Da ist sie wieder: Die Christ-Erlöser-Kathedrale, komplett neu aufgebaut zwischen 1995-2000, heute das größte und auch wichtigste, Orthodoxe Bauwerk der Welt (108 Meter hoch).

Mein Streifzug durchs alte Moskau; überladend viel, zwar nicht antik, aber so extrem aufgeladen jüngerer, brisanter Geschichte dass die Luft hier nahezu knistert.