Kilometer Nr. 2000 erreicht.

Oder Km Nr. 7250, wenn alles zusammengezählt mit dem Jakobsweg.
Also noch 143.750 km, bis ich der am weitesten gewanderte Mensch der Welt sein werde.
Keine Ahnung wo der absolute Rekord da liegt, das meiste was ich weiß ist von einem Kanadier der 71.000 km durch die ganze Welt spaziert ist, selbstverständlich mit Wanderwagen.

Was man nicht so alles tut für solch ein Lebenstraum/Werk, z.B jetzt mal wieder zuviel Geld verprassen weil es eben nicht anders geht; sitze jetzt…. wo eigentlich?
Entlang dieser endlos-Straße nahe des kalten Meeres, strikt nach Norden führend, dümpel ich schon seit Stunden über den matschigen Seitenstreifen, keinen Meter breit, die Faust fluchend den krachenden LKW entgegenhalted, sowie dem scheußlichen Wetter. Schneeregen, immernoch eiskalt der nasse Wind, alles ist wieder feucht und jeder, aber auch jeder Handgriff in der Materialschlacht meiner 30 Kilo schweren Ausrüstung, muss perfekt sitzen, sonst wird’s nass.
Plastikplane sowie Gummiplane spanne ich über den Wanderwagen, fummele deren ständig im Windstoß vorbeipreschender LKW, flatternden Enden und Zipfel fest, damit bloß kein Wasser eindringt und meine Klamotten tränkt.

Trocken kriege ich bei dieser Witterung so zimlich garnichts mehr wenns einmal feucht ist, einige Socken kann ich jetzt schon abscheiben, liegen bereits Tage feucht in der Tüte, muffen und faulen.

Die lange Straße von Riga nach Tallin (Estland), klangvoll „Via Baltica“ genannt, war mal sicherlich ein beschaulich, romantischer Handelsweg, immer nahe der Ostsee. Heute nur noch eine dröhnende Schlagader des regionalen (globalen) automobilen Wahnsinns; Überholmanöver, LKW Kollonnen nicht enden wollend, ein winziger Sandstreifen daneben für mich, ganz viele Kilometer lang als einzige Möglichkeit von Riga in den Norden zu kommen, nach Estland.
Klar, gibt es auch andere Wege, kleine Straßen weit im Landesinnern die aber alles andere als zielführend nach Norden weisen. Ich würde hunderte Kilometer Umwege durch die Pampa gehen müssen um ländliche Stille zu genießen.

Wieder sitze ich jetzt in eine dieser Cafes/Restaurants der Hotelanlagen, die alle 10 km mitten in der öden Waldlanschaft stehen, die zwar dreimal teurer als der Landesdurchschnitt ausfallen, aber einfach nur TROCKENE Orte sind und warm!
Habe WiFi, trinke Cappucchino, Cola und esse eine riesengroße Wurst, echt lettisch mit auffälligem Holzräucher Geschmack.
Ein Espresso soll gleich auch noch folgen…. kanns mir zwar nicht leisten, aber hab ihn mir einfach verdient……oder?

Zwei Tage läuft es schon so, vorgestern saß ich ähnlich gestrandet auf der Flucht vor Regenfronten die wie ein Weltuntergang übers Land walzen, auf der Flucht vor der permanenten Nasskälte die immer tiefer in die Knochen eindringt….
Für 6,60€ gabs dann auch noch die lausigsten Schaschlikspieße von ganz Lettland, innen noch halb roh, davon ohnehin die Hälfte schwabbeliges Fett.
Aber WiFi ist überall vorhanden, wenn auch nicht am Strand, wo ein strammer Wind mich nicht wirklich einlädt zum verweilen, baue aber etwas geschützt zwischen niederen Kiefern mein Lager auf. Mittlerweile stürmt der Regen fast komplett Waagerecht, der Aufbau ein wahrer Nervenkrieg; schnell, superschnell das Zelt aufschmeißen, die tausend Klamotten rein und alles zumachen.
Hört sich leicht gemacht an?
Mitnichten, nur Sekunden reichen und schon ist alles, einfach alles 25% feuchter. Die Schlafsäcke, die Luftmatratze, der Rucksack, die Landkarten, einfach alles.
Irgendwie aber trocknet der Schlamassel dann doch wieder ein wenig, wenn auch ein wenig, wärend ich noch zwei, drei Stunden im Zelt weile, mein Essbuffet ausbreite im Innern (ohne Sicht nach draußen, da regendicht verschlossen) mein Bier schlürfe und dabei lese, die Landkarten ausbreite.

Der nächste Tag ist besser. Kaum noch Regen, aber alles pampig dafür.
An der lauten, vollen Straße klebt immernoch der Seitenstreifen meine Schuhe voller Matsch, mit all den Kilometern dringt da wieder etwas Wasser ein. Wieder ein Paar Socken nass.

Wo man hinguckt, nur Wald.
Holzwirtschaft ist das größte Geschäft der lettischen Landwirtschaft. Überall die monotonen Plantagen hoher Sandkiefern, sowie immer wieder der Donnergroll jener LKWs die schwer beladen mit Baumstämmen das Exportgut Nr. 1 Lettlands zum Hafen nach Riga bringen, an mir vorbeiknallen dass ich mich dreimal drehe…..
Lettisches Holz ist billiger und wird deshalb nach Holland oder England massenweise verschifft.

Mir hilft der Wald auch, und nach 25 Kilometern schlage ich mich einfach links hinein ins Einerlei aus Kiefern.
Lichte und aufgeräumt wirkt der Forst.
Wie auf Kissen läuft es sich hier, mit erheblicher Mühe ramme ich den Wanderwagen durch diese morastigen Polster tiefen Mooses bis ich endlich ein ebenes Plätzchen, 100 Meter abseits der Straße finde.
Dieses „Polstermoos“ ist eben ganz speziell hier im Norden; 10 bis 50 (!) cm tief reichen die Polster, weich und im innern pilzig, muffig. Kleine, weiße Würmchen tummeln sich da drinnen, seltsamstes Insekt dazu… (Bild: Polstermoos lässt sich leicht öffnen) – mein weiches Bett für heute Nacht.

So, genug geschrieben heut. Draußen stehen die ganzen Klamotten vor dem Restaurant, warten auf die letzen drei Kilometer um irgendwo im feuchten Dunst das Lager zu errichten. Ein Traum wenn ich einfach hier ein Zimmer nehme… aber 45€ sind selbst für lettische Verhältnisse ganz schön viel, richten sich ausschlißlich an den oberen Mittelstand aus Riga.
Noch zwei Stunden verweilen, die Tageschau lesen/gucken, Süddeutsche.de und natürlich den neuesten Tratsch auf Facebook….. mal abschalten.

Draußen prasselt der Dauarregen vor die Fenster.

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