Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015) Stadt: Lodsch …(700.000 Einwohner)

Es ist wie in Berlin 1996, als ich damals mit 18 zum ersten mal da war: Marode, alt, überall Patina doch dennoch prunkvoll in bröckelnder Pracht die mächtigen Fassaden im Jugendstiel, oder klassizistisch, ja Feudal wie so manch Stadtanwesen damaliger Industrieller wirkte. In Ost-Berlin abseits vom Alexanderplatz damals, wie auch in Lodsch noch heute; nahezu Baufällig die alte Zier, supermodern mal der eine oder andere Ytong-Wohnblock nebenan, bedrohlich das alte, sozialistische Unschöne, sowie die weiten Blicke dazwischen, ob über zertrümmerten Waschbetonpflaster der 50er, oder festgetretendem Erdreich großer, urbaner Freiflächen, zugestellt mit Autos, erinnert mich der morbide Charme in Lodsch an mein altes Berlin, wo ich einst noch im “Hostel Adler” direkt an der Friedrichstraße für 10 Mark ein Bett fand, wo die Straßenbahnen noch so aussahen wie hier, und damals wie heut so dröhnend über löcherige Straßen grollten. Dieses Berlin gibt es heute nicht mehr. Aber deses Lodsch allerdings schon….

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015) Stadt: Lodsch/Lodź ….(873.000 Einwohner – mit Vororten)

Angekommen im Zentrum der drittgrößten Stadt im Lande; auf der fast fünf Kilometer langen “Piotrkowska” , die berühmte Boulevardstraße teils als einzige Autofreie Zone der Großstadt, die schnurgerade durch die innere Stadt zieht, wandere ich dem nächsten Ziel entgegen, dem Cynamon-Hostel an der Nebenstraße, wo es dann für nur sieben Euro die Nacht ein Bett (im Mehrbettzimmer) eine Dusche + reichhaltiges Frühstück gibt. Couchsurfing habe ich diesmal nicht angestrengt, – so günstig, so relaxt soll es ja hier mal werden. Vor 200 Jahre war hier ein gepflasterter Weg entstanden, der die damals neuen Fabriken mit der älteren Stadt Zgierz verbinden soll, Fabriken die hier ab 1820 im Zuge der ersten industriellen Revolution analog zum englischen Manschester gewaltige Textilmanufakturen bildeten, waren der große Durchbruch der Stadt. Ganze 100 Jahre war Lodsch somit einer der größten Textilproduktions-Stätten der Welt, Tuchmacherfabriken, Kleidung und Teppiche gaben zig-tausende Arbeiter ein Auskommen;Wachstum war angesagt, überall neue Häuser, oft aus billigem Holz, aber auch protzig prollig den Reichtum neuer Industrieller zeigend, entstanden. Lodsch wurde zur Großstadt, einer reichen Großstadt die damals den neuen Trend der Massenindustrie voll mitnahm. Entlang der eigentlichen Verbindungsstraße wuchsen so die Fabriken wie auch Villen, Geschäfte, Verwaltungsschlösser, – ja, damals baute man selbst Verwaltungsgebäude so prunkvoll wie Adelshäuser, und eine neue Stadt entstand. Heute nach viel, viel Geschichte, wenn auch nicht die älteste, war einiges passiert in Lodsch; die mächtigen, jüdischen Unternehmerfamilien wurden enteignet, vertrieben (oder schlimmer noch, in den “Ghettos” im Jahr 1940 deportiert) die Manufakturen kamen über die Jahrzehnte aus der neu-globalen Mode, durften im Sozialismus zumindest künstlich eine Lebensverlängerung genießen, während natürlich ab 1989 entgültig Feierabend im wahrsten Wortsinn war. Zur Wende dann, erlebte Lodsch den wohl schlimmsten Niedergang polnischer Städte (neben der Kattowwitz – Kohlenregion in Südschlesien) überhaupt; sackte von 850.000 Einwohner auf nun heute knapp 700.000 ab. Die Leute zogen aus, fanden und finden besser Arbeit im 130 Kilometer entfernten Warschau, oder gingen ganz ins Ausland. Anna sagte mir noch, in Warschau als IT Expertin das doppelte (!) Zu verdienen…. so schwer findet die ansich große Stadt Lodsch den Anschluss.
Doch bei all dem, was gibt es gutes zu erzählen? – Viel, z.B. dass es sich hier gut und günstiger leben lässt als in anderen Großstädten. Lodsch veränderte sich die letzten Jahre stark, viel wird gebaut am morbiden Stadtbild, die Preise sind billig, alles ist da: Universität, Mega-Schoppingmall, Krankenhäuser aller Art, und vor allem jede Menge Bars, Kneipen und Esslokale, vor allem hier an der Piotrkowska, dem “Walk of Fames” Polens mit seinen Sternen im Bodenpflaster wie in Hollywood. Lodsch ist auch Filmhauptstadt im Land, hat eine freiere Kultur weil hier nicht alles so unbezahlbar ist wie woanders. Ein großes Bier für 1,20€ vom Fass ist mir jetzt erstmal sicher….

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (21.11.2015) Stadt: Zgierz (58.000 Einwohner) ………… Zwischenstopp in Zgierz, ca 10 km nördlich von Lodsch, aber eigentlich Teil dieser Stadt, da nahtlos miteinander verwachsen.
Anna (42) & Tochter (18) hatten mich über Couchsurfing eingeladen, dort kann man auch öffentlich Anheigen schalten und bekommt so manchmal das Glück das sich Gastgeber melden. So auch IT-Spezialistin Anna, die ganz ernsthaft ünerlegt mal ein Sabbat Jahr einzurichten. Am besten wandern gehen, am besten den Jakobsweg, wo sie sich mit mir natürlich einen Experten auf die Couch geholt hat. Den ganzen Abend gestern war das unser Thema. Jetzt bin ich mal gespannt wie sie das macht, wann sie startet und wie’s klappt. Dank Facebook bleiben wir ja in Kontakt. -Viel Glück Anna auf deine neuen Wege, ob zu Fuß oder sonst wie; die Kinder sind nun groß und ab geht die Post ins neue Leben ……….

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (21.11.2015) Stadt: Poddebice.

Theo wir fahren nach Lodsch …. oder wandern dorthin. 38 Kilometer sind’s und momentan mit wirklich viel Viva Polonia; Sauwetter, grau – grau – grau, wenn da nicht die liebe Frau Barbara wäre, ein bischen Sonne im Wetter-Trübsal. Wasser gibts aber nicht nur vom Himmel; habe noch anderthalb Liter reines Thermalwasser abgezapft, sozusagen ein Wahrzeichen der Kleinstadt Poddebice; aus 2200 Metern Tiefe, 27.000 Jahre alt (was ist dagegen schon ein 30 jähriger Wein?) in einer Kirche von der Quelle entnommen. Damit stärke ich mich nun auf dem Weg nach Looooooooooodsch ………… (Bild: Die gute Seele von Poddebice; Barbara verabschiedet mich in Richtung Lodsch)

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (20.11.2015) Dorf: Dalikow

Mr. Superstar bei der Autogrammstunde. Hä, was? Autogramme? Was geht hier vor? ….. Was schreibe ich überhaupt? “J.Kwass”….oder “Best Regards from Wanderleben”, oder ….? Also alles echt komisch, aber einfach auch Hammer-Genial…. sollte das mal so weitergehen, dann wirds was mit dem Job in der weiten Welt ….Tatsächlich kann ich dem Andrang nicht Herr werden, ca. 15 – 20 Autogramme + Grüße kritzel ich improvisierend und irgendwie nicht besonders phantasievoll auf die Notizblöcke der begeisterten Jugend …..

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (20.11.2015) Dorf: Dalikow

Weiter gehts zum nächsten Termin, also nix mit weitermachen auf der Wanderroute: In Dalikow, einem Dorf in der Nähe erwartet mich gleich eine ganze Schule zum Wanderleben – Vortrag. Ich fass es mal wieder nicht, als ein tosender Applaus mir die Mütze vom Haupt fliegen lässt, als ich in die Sporthalle mit dem Wanderwagen einschreite. Stolz positioniert sich Frau Barbara und ein Tross Lehrern vor ca. 250 Schüler von 10 bis 15 Jahren und die Mikrofone tun ihr Übriges; Lektion Wanderleben ist nun angesagt und ganz automatisch kommt es mir recht leicht aus dem Munde, erzähle, zeige und mache Gesten. Alle haben reges Interesse. Wa-wa-wanderleben sag ich nur dazu ……..

Viva Polonia – 800 km zu Fuß durch Polen (20.11.2015) Stadt: Poddebice …..(7.200 Einwohner)

Gastgeberin Barbara (links von mir) legt sich voll ins Zeug: Erster Tagestermin: Ein Kindergarten im Ort. Zugegeben bin ich etwas überfordert; “na, erzähl doch mal was…” heißt es von ihr. Hmmm, irgendwie sind die doch nlch viel zu klein um solch eine Nummer zu begreifen. Aber egal, einfach was plappern, also: Tief im Walde schlafe ich (Barbara übersetzt) – wild und ungestüm das Getier um mich herum…. doch ich spreche mit Reh, Hirsch und Wolf…. mache sie zu meinen Freunden. Die Dunkelheit schützt mich vor den Räubern…. und bald zum Nicolaus, ziehe ich wieder von dannen zurück zur Familie. Mit dem gehe ich dann zusammen dorthin.